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Schattenjahre (German Edition)

Schattenjahre (German Edition)

Titel: Schattenjahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Penny Jordan
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daheim.“
    „Vom Dachboden aus sieht man das Meer. Irgendwann werde ich dich mal hinaufführen. Tut mir leid wegen deines Vaters. Ich kannte ihn nicht …“
    „Mir tut es nicht leid.“ Die Worte klangen scharf und bitter, und Daniel ballte die Fäuste. Seine eigene Stimme, die in letzter Zeit seltsam verändert und viel tiefer klang, machte ihn genauso verlegen wie die anderen Zeichen seiner männlichen Reife. Er hielt den Atem an und fürchtete, der Onkel könnte Fragen stellen. Instinktiv wusste er, wie sehr es Mom widerstreben würde, die mitfühlende Familie über ihre unglückliche Ehe zu informieren. Der Stolz würde ihr nicht erlauben, diesen Menschen zu gestehen, welch ein Mann John Ryan gewesen war.
    Seit einer Woche lebten sie nun schon bei der Großmutter. Daniel freundete sich mit den Zwillingssöhnen seines Onkels an und begann zu glauben, nun hätte er endlich einen Platz gefunden, wo ihn alle akzeptierten.
    Eines Tages blickte er von dem Buch auf, das er an Nana Rees’ Küchentisch las, denn er hörte sie erfreut rufen: „Da kommt Robert Cavanagh! Er muss zu Besuch bei Noras Familie sein. Daniel, lass ihn doch herein, deine Beine sind jünger als meine.“
    Während er aufstand, sah er das Gesicht seiner Mutter, das leichenblass wurde. Die ganze gesunde Farbe, in den letzten Tagen angeeignet, wich aus ihren Wangen.
    Moms Verwandlung hatte ihn verblüfft und entzückt. Seit der Heimkehr schien sie viele Lebensjahre abzuschütteln. Singend und lachend arbeitete sie in Nana Rees’ Küche, ihre Augen leuchteten und sie bewegte sich anders – so als wäre eine schwere Last von ihren Schultern gefallen. Und jetzt wurde sie innerhalb weniger Sekunden wieder die Frau, die er in Liverpool gekannt hatte – eingeschüchtert, nervös, angstvoll. Warum?
    Er öffnete die Tür, ehe der Mann anklopfen konnte. Der Besucher war groß und dunkelhaarig, mit den intensivsten blaugrauen Augen, die Daniel je gesehen hatte, und wettergegerbtem Gesicht. Offenbar hielt er sich aus beruflichen Gründen häufig an der frischen Luft auf. Trotzdem trug er einen dunklen Anzug und ein gestärktes weißes Hemd, und er wirkte so, als würde er sich niemals anders kleiden. In diesem Anzug bewegte er sich genauso selbstverständlich, wie Daniel es bei den Vätern seiner Schulkameraden beobachtet hatte – und bei seinem Vater im Bauarbeiter-Overall.
    Der Fremde hatte sich nicht aus besonderem Anlass so angezogen, dies gehörte zu seinem Alltag. Er musste reich und mächtig sein, daran zweifelte Daniel nicht. Warum versetzte die Ankunft dieses Mannes die arme Mom in Angst und Schrecken?
    Sie kehrte der Tür den Rücken und schälte an der Spüle emsig Kartoffeln für den Lunch. Daniel sah, wie der Mann die Großmutter anlächelte und sich dann bei Moms Anblick ein wenig versteifte. Nach kurzem Zögern betrat er die Küche und umarmte die alte Frau. „Megan, welch eine wunderbare Überraschung! Ich wusste nicht, dass du hier bist.“
    „Sie ist erst vor einer Woche angekommen, Robert“, erklärte Nana Rees, „mit ihrem Sohn Daniel.“
    „Daniel …“ Der feste Händedruck, das Lächeln von Mann zu Mann, der kühle Blick, der seinem kurz begegnete, verrieten Daniel eine ganze Menge, verbargen aber auch sehr viel. Dieser Mann war scharfsinnig und vorsichtig. Von der heißblütigen Neigung zu Gewalttätigkeit, in seinem Dad so offenkundig, konnte er in Robert Cavanagh nichts entdecken. Die Großmutter schien ihn zu mögen, aber Moms Unbehagen war fast greifbar. Beharrlich vermied sie es, den Besucher anzusehen.
    Robert Cavanagh blieb nicht lange – nur lange genug, um der Großmutter seine Anteilnahme am Verlust ihres Ehemanns zu bekunden und die angebotene Tasse Tee abzulehnen. Er hielt sich höchstens zehn Minuten auf. Während dieser Zeit blieb Mom am Spülbecken stehen, obwohl sie bereits alle Kartoffeln geschält hatte, und weigerte sich, am Gespräch teilzunehmen, in das die Großmutter und der Besucher sie immer wieder einbeziehen wollten.
    Erst nach seinem Abschied begann sie zu reden. Mit sonderbarer tonloser Stimme, die in Daniels Ohren völlig fremd klang, fragte sie: „Und wo ist seine Frau? Hat er sie nicht zu ihrer Familie mitgenommen?“
    „Großer Gott, Megan, hab ich dir das nicht erzählt? Die arme Nora ist tot. In letzter Zeit wurden ihre Anfälle immer schlimmer. Sie musste wieder in der Klinik behandelt werden, und da ging sie eines Tages einfach raus und lief direkt vor die Räder eines Lastwagens. Der

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