Schattenjahre (German Edition)
Stimmbruchs und des ersten Bartschattens am Kinn, vielleicht auch nur, weil die Zwillinge älter waren und ihn als ihresgleichen akzeptierten, schienen alle anzunehmen, er wäre ebenfalls schon siebzehn. Zum ersten Mal in seinem Leben wurde er von jungen Leuten für voll genommen, und er blühte richtig auf. Bald lernte er, schlagfertige Antworten auf die spöttischen Kommentare der Mädchen zu geben, und verlor die Schüchternheit, die er den langen Jahren mit seinem Vater verdankte.
Als Daniel am Ende des Sommers mit seiner Mutter nach Liverpool zurückkehrte, war er um vier Zentimeter gewachsen. Beim Rudern im Boot der Zwillinge hatten sich kräftige Muskeln an seiner Brust und den Oberarmen entwickelt, seine Haut war gebräunt von den vielen Stunden im Freien. Und er musste sich tatsächlich rasieren, wenn auch nur selten.
Er vermisste Wales und seine Vettern, die Schultage schleppten sich viel zu langsam dahin. Von den Mitschülern hatte er sich immer ferngehalten, weil er die Unterschiede zwischen sich selbst und den anderen erkannte und wusste, dass er nur geduldet wurde und nicht aus einem reichen Elternhaus stammte. Aber der Aufenthalt in Wales hatte ihm Selbstvertrauen gegeben, die Gewissheit, auf einer anderen Stufe zu stehen als die Ryans. Sein Onkel war Arzt, seine Mutter hätte Ärztin werden können. Also gab es keinen Grund, warum er sich seiner Herkunft schämen solle.
Mom hatte Nana Rees versprechen müssen, mit Daniel die Weihnachtsferien in Wales zu verbringen. Vorher erschien ein unerwarteter Besucher.
Eines Tages kam Daniel von der Schule heim, sah Robert Cavanagh in der Küche stehen und mit Mom reden. Sein erster Gedanke war, er müsste sie beschützen. Doch zu seiner Verblüffung las er keine Angst in ihren Augen, sondern Freude. Ihre Wangen glühten rosig, in schmeichelhaften Wellen umrahmte ihr Haar, das sie jetzt kürzer trug, das zarte Gesicht. Sie sah viel jünger und glücklicher aus. Daniel vermutete, dass sein Onkel ihr regelmäßig Geld schickte, um ihnen das Leben zu erleichtern. Er selbst hatte einen Wochenendjob in einem Supermarkt, wo er Waren in die Regale einordnete, und er bestand darauf, der Mutter den Großteil seines geringen Verdienstes zu geben.
„Daniel!“ Lächelnd streckte Robert Cavanagh seine Hand aus, die der Junge automatisch ergriff, und erklärte, er sei aus geschäftlichen Gründen in Liverpool. Deshalb habe er beschlossen, Mutter und Sohn zu besuchen. „Grade sagte ich deiner Mom, ich würde euch beide gern zum Essen ausführen.“Robert Cavanagh blieb über eine Woche in Liverpool und ging jeden Abend mit ihnen aus. Mom mochte ihn, das merkte Daniel.
Nur wenn Robert gelegentlich ihren verstorbenen Mann erwähnte, schien sie sich ein wenig zu versteifen.
Am Nachmittag vor seiner Abreise holte er Daniel von der Schule ab. Der unerwartete Anblick des roten Jaguar ließ den Jungen zögern, ehe er einstieg.
„Ich muss unter vier Augen mit dir reden, Danny“, begann Robert, „von Mann zu Mann. Ich liebe deine Mom und will sie heiraten. Das habe ich ihr noch nicht gesagt, weil ich zuerst mit dir sprechen wollte. Du bist ein braver Bursche, und eins versichere ich dir – wenn deine Mom und ich heiraten, werde ich dich als meinen Sohn betrachten. Ich weiß, du hattest es nicht leicht mit deinem Vater, und ich könnte es verstehen, falls du keinen neuen Mann im Leben deiner Mutter sehen möchtest. Die Ryans haben euch wirklich schlecht behandelt. Morgen fahre ich nach Hause, aber ich sehe euch ja bald, wenn ihr nach Wales kommt. Vorher werde ich deiner Mom nichts sagen. Sie soll sich nicht gedrängt fühlen.“
„Und wenn mir Ihre Heiratspläne missfallen?“, fragte Daniel kühl.
Robert wandte sich zu ihm, mit ernster Miene. „Das ist dein gutes Recht, aber ich bitte dich nicht um deine Erlaubnis. Diese Entscheidung muss deine Mutter treffen. Eines Tages, wenn du selbst ein richtiger Mann bist, wirst du es begreifen – wenn ein Mann eine Frau liebt, so wie ich deine Mom liebe, dann gibt es für ihn nichts Wichtigeres auf der Welt. Ich wünschte mir, dass wir beide Freunde werden, Danny. Ob du es auch willst – nun, das liegt bei dir.“
Sie heirateten im Frühling. Robert hatte für Megan ein Haus außerhalb von Cardiff gekauft und dafür gesorgt, dass Daniel eine Schule in dieser Stadt besuchen konnte, diesmal als zahlender Schüler.
Für sie alle würde ein neues Leben beginnen, und Daniel wusste nicht recht, was er davon halten sollte. Er
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