Schattenjahre (German Edition)
so bleich und dünn, vor der Zeit gealtert, die Manneskraft von denselben schrecklichen Verletzungen zerstört, die eine Amputation beider Beine erfordert hatte …
Es war bei der hektischen Landung an der Normandieküste geschehen. Er hatte mitgeholfen, die Operation zu organisieren, und bis zur Brust im eisigen Wasser gestanden. Ein junger Gefreiter, der nicht schwimmen konnte, geriet in Schwierigkeiten. Edward tauchte, um ihn hochzuziehen, und wurde in der allgemeinen Hast, während die Truppen an Land stürmten, zwischen schweren Ausrüstungsgegenständen eingequetscht. Sein Leben war gerettet worden, seine Beine nicht. Für diese grausame Gnade verfluchte er den Allmächtigen noch immer in seinen Albträumen.
Vor ihrem geistigen Auge sah Lizzie ihn im Rollstuhl sitzen und verglich ihn mit diesem gesunden, unverschämt heiteren jungen Mann. Der schien alle Gefahren zu missachten, die das Schicksal vielleicht für ihn bereithielt … Plötzlich wurde sie von einem heftigen Beschützerinstinkt überwältigt, von besitzergreifender Angst, von dem Bedürfnis, ihn bei sich zu behalten, auf ihn aufzupassen. Nie zuvor hatte sie solche Gefühle verspürt, die Verletzlichkeit und Schwäche hervorriefen. Und so wehrte sie sich nicht, als er darauf bestand, ihr ins Auto zu helfen, und das Rad hinten befestigte.
Die vordere Sitzbank war schmal, und sobald er einstieg, nahm sie seine Körperwärme wahr, die ihr Blut erhitzte, ihr die erregenden Unterschiede zwischen den Geschlechtern bewusst machte. Er startete den Motor, fuhr schnell und leichtsinnig, was Lizzie erschreckte, aber auch wohlig erschauern ließ.
„Wohnen Ihre Eltern hier?“, fragte er und warf ihr einen kurzen Blick zu. Ihre akzentfreie Aussprache und ihre Schüchternheit weckten seine Neugier. Wie naiv sie wirkte … Sicher war sie noch nie von einem Mann geküsst worden.
„Nein – meine Tante.“
„Und was hat Sie in diesen Teil des Landes geführt?“ Kit wusste genau, wie man sich einer Frau näherte. Und dieses Mädchen, dieses unschuldige Kind, würde wie eine reife, weiche Frucht in seine Arme fallen, wenn er vorsichtig zu Werke ging. Ein paar Schmeicheleien, verführerische Zärtlichkeiten …
Überrascht schaute sie ihn an. Sie war es nicht gewöhnt, dass man sich für sie interessierte. Wieder wurde sie von wilder Freude erfüllt, die plötzlich ein schwindelerregendes Selbstvertrauen heraufbeschwor. „Meine – meine Tante schickte mich hierher. Sie ist mit der Oberschwester des Krankenhauses befreundet.“
„Ihre Tante!“ Die Antwort schien ihn zu verwundern. „Haben Sie sonst keine Angehörigen?“
„Nein …“ Ihre Augen verdunkelten sich, als sie an den schmerzlichen Verlust der Eltern dachte. „Ein Bombenangriff …“
Mitfühlend nickte er und beglückwünschte sich. Ein Volltreffer. Keine Familie, abgesehen voneiner Tante, der das Mädchen vermutlich egal war, die ihm keine Steine in den Weg legen würde. Er hatte noch ein paar Tage Urlaub, und er sah keinen Grund, sie woanders zu verbringen. Wäre er länger mit der Kleinen zusammen, würde sie ihn bestimmt grässlich langweilen. Während er belanglose Konversation machte, amüsierte er sich mit der Vorstellung, wie es weitergehen mochte. Anfangs wird sie nervös sein, aber wenn ich beteuere, wie sehr ich sie liebe, wird sie mir alles geben, dachte er und lächelte zynisch. Nur zu gut kannte er die Wirkung seines hübschen Gesichts auf empfängliche Frauenherzen. Und diesen anbetenden Blick, den die Kleine ihm immer wieder schenkte, hatte er schon in vielen weiblichen Augen gesehen.
Wie dumm die Frauen waren … Man musste nur behaupten, sie zu lieben, dann erfüllten sie alle Wünsche.
„Schade, dass Sie da hineingehen müssen“, sagte er leise, als die Klinik auftauchte. „Sonst könnten wir einfach weiterfahren, zusammen durchbrennen und bräuchten nie zurückzukehren. Würde Ihnen das gefallen, meine Süße? Möchten Sie für den Rest Ihres Lebens bei mir bleiben?“
Ein heftiger Schock, mit Entzücken vermischt, beschleunigte wieder ihren Herzschlag. Dann hörte sie ihn lachen und spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. Sicher las er in ihren Augen, was sie empfand.
„Sollen wir’s tun?“, fuhr er fort, sie zu necken. „Soll ich Sie entführen, an einen Ort bringen, wo wir ganz allein wären?“
Seine tiefe Stimme erschien ihr wie eine hypnotische Liebkosung. Unfähig, den Blick von seinem Gesicht loszureißen, merkte sie, dass sie zu atmen
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