Schattenjahre (German Edition)
Stimme verhöhnte den eitlen Entschluss, ihre nackten Beine zu zeigen. Würde sie die Wollstrümpfe tragen, hätte sie sich die Knie nicht zerschunden. Nur zu gut wusste sie, welchen Anblick sie diesem unglaublich hübschen jungen Mann bieten musste. Einen Kopf größer als sie, stand er vor ihr und musterte sie, mit einem Ausdruck in den Augen, der sie bewog, Lady Jevesons modischen Geschmack zu verfluchen.
Ihr Herz schlug schneller, als sie merkte, was mit ihr geschah. Zum ersten Mal in ihrem Leben verspürte sie das schwindelerregende, gefährliche Gefühl, sich hilflos in einen Fremden zu verlieben – ein Gefühl, das die anderen Mädchen so oft beschrieben hatten.
Diese Erkenntnis lenkte sie vorübergehend von der Situation ab. Verwundert starrte sie vor sich hin und fesselte Kit Danvers’ Aufmerksamkeit, trotz der grässlichen Kleidung und der Frisur, die ihn an Jugendfotos von seiner Großmutter erinnerte. Ein sehr schönes Mädchen – das registrierte er mit dem geübten Auge eines Jägers, der seine Beute oft an unerwarteten Orten entdeckte.
Perlen in dumpf schimmernden Austernschalen zu finden war seine Spezialität. Darum beneideten ihn die Kameraden. Notgedrungen erkannten sie an, welch eine unwiderstehliche Wirkung er auf Frauen ausübte.
Davon wusste Lizzie nichts. Nur eins wusste sie, während sie in die fröhlichen blauen Augen blickte, in das hübsche, gebräunte, lächelnde Gesicht – irgendetwas in ihr schmolz, unbekannte Empfindungen stiegen in ihr auf, neu für sie und doch so, wie die Menschheit sie kannte.
„Sie haben einen Fleck auf der Nase … So, jetzt ist er weg.“ Lizzie hielt den Atem an, als sie seinen Daumen im Gesicht spürte. Ihre Haut prickelte unter der leichten Berührung, wie von tausend Nadelstichen getroffen. Eine seltsame Sehnsucht erfasste sie und schnürte ihr die Kehle zu. „Mit diesem Ding können Sie nicht mehr fahren“, meinte er. „Soll ich Sie irgendwohin bringen?“
„Ich – ich wollte zum Krankenhaus“, würgte sie mühsam hervor und merkte kaum, was sie sagte, immer noch in den Anblick seiner strahlenden Augen versunken. „Dort arbeite ich.“
„Tatsächlich? Welch ein Zufall! Ich bin gerade auf dem Weg zum Krankenhaus. Man sagte mir, auf dieser Straße würde ich unbemerkt hinkommen. Eigentlich dürfte ich diesen Schlitten nicht fahren.“ Er tätschelte die Motorhaube. „Eine durstige Lady … Aber wenn man in einem Krieg an vorderster Front kämpft, hat man ein Recht auf ein bisschen Amüsement. Zum Glück sind die Yankees nicht so knauserig mit ihrem Benzin wie unsere Leute, und ich kenne diesen Yankee …“ Lächelnd unterbrach er sich. „Ich langweile Sie sicher zu Tode. Ein hübsches Mädchen wie Sie möchte nicht …“
Ein hübsches Mädchen … Hingerissen starrte sie ihn an. Er fand sie hübsch. Heiße Freude durchströmte sie, doch dann dachte sie an Tante Vis strenge Ermahnungen, wandte sich von diesem bedrohlichen Lächeln ab und versuchte ihr Fahrrad aufzuheben. „Ich muss jetzt weiter … Tut mir leid, dass ich Sie vorhin nicht kommen hörte.“
„Werden Sie sich verspäten? Was machen Sie denn in der Klinik? Sind Sie Krankenschwester?“
„Aushilfsschwester“, erklärte sie, und aus irgendeinem Grund kränkte sie das Staunen in seinen Augen. Es hatte sie nie gestört, wenn andere über ihren niedrigen Status spotteten. Aber nun wünschte sie, diesem attraktiven jungen Mann erzählen zu können, sie übe eine wichtige Tätigkeit aus.
„Ich will nicht, dass Sie meinetwegen Ärger kriegen. Und es war doch meine Schuld. Steigen Sie ein, ich schnalle Ihr Rad hinten fest.“
„Heute habe ich frei.“ Zögernd stand sie neben dem Cabrio. Wenn sie das Angebot annahm, würde sie gegen Tante Vis Regeln verstoßen. Aber irgendetwas trieb sie dazu. „Ich will nur jemanden besuchen.“
Sofort verschärfte sich sein Blick. „Ihren Freund?“
Sie wurde rot und schüttelte den Kopf. „Einen Patienten … Ich habe versprochen, ihn in den Park zu bringen, wenn der Rhododendron blüht. Der erinnert ihn an den Garten seiner Großeltern …“
„Sie sind ein gefühlvolles kleines Ding, was? Ist er ein hoffnungsloser Fall?“
Sein achtloser Tonfall verletzte sie. Obwohl sie wusste, dass Edward Danvers bestenfalls ein qualvolles, einsames Leben führen würde, erwiderte sie hastig: „Nein, natürlich nicht.“ Vielleicht war es der krasse Unterschied zwischen den beiden Männern, der sie zu dieser Antwort veranlasste. Edward –
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