Schattenjahre (German Edition)
Es war lächerlich, diese Abneigung gegen einen Ort zu empfinden, den sie nicht kannte. Aber wann immer Beth mit der Woolonga-Ranch prahlte, kam es Liz so vor, als wollte die Australierin sie dazu herausfordern, irgendetwas Vergleichbares in Cottingdean zu benennen.
Eines Abends staunte Liz über sich selbst, weil sie verdrossen zu Edward sagte: „Ich werdefroh sein, wenn Vic und Beth verschwinden. Allmählich fällt mir der Name ‚Woolonga‘ auf die Nerven.“
„Beth hat Heimweh“, erklärte er sanft. „Nur deshalb ist sie so angriffslustig. Aber ich gebe zu – sie übertreibt ein bisschen, wenn sie alles, was mit Australien zusammenhängt, in den Himmel hebt. Wahrscheinlich fürchtet sie, Vic könnte sich doch noch anders besinnen und hierbleiben.“
„Das wird er nicht tun“, widersprach Liz entschieden. Sie spürte, dass Edward sie beobachtete, und erinnerte sich, wie ablehnend er dem jungen Schäfer seit Davids Geburt gegenüberstand. Deshalb fügte sie, obwohl ihr das Herz wehtat, möglichst beiläufig hinzu: „Ich finde es richtig, dass er nach Australien auswandert. Hier in Cottingdean hat er keine Zukunft. Sein Nachfolger ist älter, also wird er wohl bei uns bleiben. Und Vic hat mir erzählt, der Mann würde schon sehr gut mit der Herde zurechtkommen.“
„Hm … Hoffentlich bereitet dir der neue Bock, für den du so viel Geld gezahlt hast, keine Enttäuschung. Ich begrüße deinen Entschluss, die Herde zu vergrößern, aber dieses Land braucht Fleisch, keine Wolle.“
„Für den Augenblick trifft das zu“, bestätigte sie. „Aber ich blicke in die Zukunft, in eine Zeit, wo man die Lebensmittel nicht mehr rationieren wird, wo die Leute auch andere Waren kaufen möchten. In England gibt es keine Kleidung von guter Qualität. Nur wenige Familien produzieren einigermaßen brauchbare Textilien. Auf diesem Gebiet dürfte die Nachfrage bald steigen.“
„Und du willst diese Bedürfnisse befriedigen? Meine Liebe, ich will deine Träume nicht zerstören … Vor langer Zeit wurde in Cottingdean erstklassige Wolle erzeugt, in unserer eigenen Spinnerei. Aber das ist nun Vergangenheit. Die Spinnerei ist abbruchreif, wir haben keine Maschinen, keine Arbeitskräfte – nichts. Und wir besitzen zu wenig Geld, um diesen Zustand zu ändern – wo wir doch kaum das Dach über unseren Köpfen instand halten können …“
„Bald wird alles anders aussehen“, protestierte Liz eigensinnig. „Wart’s nur ab! Dieses Land braucht neue Industrien, und die Leute benötigen die Waren, die wir produzieren werden. Sicher finden wir Mittel und Wege.“
Liz hörte ihn seufzen, sah ihn angewidert die Lippen verziehen und empfand wachsenden Frust. Sie hatte so viele Pläne, so viele Hoffnungen – und sonst so wenig, abgesehen von ihrer Familie. Verstand Edward denn nicht, dass sie an ihr Vorhaben glauben musste und wie dringend sie ihren Traum brauchte? David war kein Baby mehr und schien kaum noch auf die Mutter angewiesen zu sein. Er war ein selbstgenügsames Kind. Und ihr Mann verließ sich mehr und mehr auf Chivers, was seine körperlichen Bedürfnisse betraf, und auf Ian Holmes und den Vikar, um geistige Anregung zu finden. Sie suchte einen Lebensinhalt, etwas, wofür sie arbeiten konnte, eine Herausforderung – etwas, worin sie ihre Energien investieren würde, die sie unablässig quälten, in rastlose Stimmung versetzten.
Sie war jung, das Leben lag noch vor ihr. Die Gefühle für Vic hatten ihr die Gefahren vor Augen geführt, die ihr drohen mochten, wenn sie nicht aufpasste, wenn sie ihre Gedanken nicht mit anderen Dingen beschäftigte, ihre Zeit nicht anderweitig nutzte. Es genügte ihr nicht mehr, in Haus und Garten zu arbeiten, bis sie abends erschöpft ins Bett sank. Außerdem hatten sie nun ein Stadium erreicht, wo sie aus eigener Kraft nichts mehr für das Haus tun konnten. Alle sonstigen noch erforderlichen Reparaturen mussten von Fachleuten vorgenommen werden. Liz brauchte diesen Traum, dass sie aus der Asche der Vergangenheit eine wunderbare Zukunft errichten würde, für Cottingdean, für das Haus und das Dorf. Die Schafe hatten der Gemeinde zu Wohlstand verholfen, daran wollte sie anknüpfen. Und wenn es niemanden mehr gab, der diesen Traum mit ihr teilte, dann würde sie ihr Ziel eben allein ansteuern, beschloss sie hartnäckig.
Das konnte sie schaffen. Sie wusste, dass eines Tages große Nachfrage nach Wolle aus der Danvers-Spinnerei herrschen würde. Und wenn es so weit war, wollte Liz
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