Schattenjahre (German Edition)
Eintragungen auf den ersten Buchseiten. Der neue Schafbock hatte sich als großer Erfolg erwiesen, seine Nachkommenschaft die ersehnte erstklassige Wolle produziert. „Heute kam ein Brief von Vic. Beth ist schwanger.“ Hinter diesen knappen Worten spürte Sage einen gewissen Kummer, aber kein Selbstmitleid. Das hätte sich die Mutter nie gestattet.
Während des Winters wurden die Tagebucheintragungen noch kürzer. Edward litt an einer Grippe und musste ins Krankenhaus gebracht werden. Im Frühling kamen viele Lämmer zur Welt, und Liz erwog, noch einen Schafbock zu kaufen.
Sie überlegte, ob sie die Spinnerei wieder eröffnen und auch eine Weberei gründen sollte. Zurzeit verkaufte sie die Schafwolle an einen kleinen Betrieb gleich hinter der schottischen Grenze. Sie traf sich mit den Besitzern dieses Unternehmens, um Produktionsvorgänge zu erforschen, und erkundigte sich bei anderen Stellen, ob die Regierung der Cottingdean-Spinnerei finanzielle Unterstützung gewähren würde.
Allmählich erholte sich die Bevölkerung von den düsteren Kriegszeiten, begann an die nächsten Jahre zu denken, nicht mehr bloß an die unmittelbar bevorstehenden Wochen. Diese Menschen, die das Grauen des Kriegs erlitten hatten, wussten nur zu gut, was es hieß, in ständiger Todesgefahr zu schweben. Und sie gelobten sich, ihren Kindern eine schönere Zukunft zu bieten.
Eine neue Stimmung breitete sich im Land aus, eine Zielstrebigkeit, die Lebensqualität zu verbessern. Wer so viel Schreckliches durchgemacht hat, wird vielleicht einer Art Wiedergeburt unterzogen. Zu diesem Bewusstsein kam der Wunsch, die nächste Generation – in einer dunklen Zeit voll tiefster Verzweiflung gezeugt – solle nur Glück und Freude kennenlernen. Und so mochte sich eine Mutter, die jahrelang nur billige, schäbige Kleidung besessen hatte, nach besseren Sachen sehnen, nicht für sich selbst, aber für ihre Kinder.
Es gab also einen Markt für gute Schafwolle, das wusste Liz, und sie beschloss, ihn zu beliefern. Diesem Plan stellten sich so große Hindernisse in den Weg, dass ein schwächerer Mensch aufgegeben hätte. Allerdings wurde nur sanfter, subtiler Druck auf sie ausgeübt.
Edward zog sich in schweigende Distanz zurück, wann immer sie versuchte, ihre Absichten mit ihm zu besprechen. Unbehaglich erkannte sie darin das Schmollen eines verwöhnten Kindes, das einen fürsorglichen Erwachsenen bestrafen will.
Sein Zustand beunruhigte sie unablässig. Niemals würde eine Besserung eintreten, ständig würde er aufopfernde Pflege brauchen. Nach der Grippe war er gebrechlicher denn je und nicht nur körperlich, sondern auch seelisch schwer angeschlagen. Er verlangte immer mehr Aufmerksamkeit und verstummte beleidigt, wenn er sie nicht sofort erregte.
Nur gut, dass David ein so unkompliziertes Kind war … Fast zu unkompliziert, dachte Liz manchmal, wenn sie ihn mit Altersgenossen verglich. Diese Sorge vertraute sie Ian Holmes an, der ihr versicherte, der Junge sei bei bester Gesundheit. „Er ist zwar sehr still“, fügte der Arzt hinzu, „aber glücklich und zufrieden.“
„Und fast immer ganz allein …“
„Auch dabei ist er glücklich. Aber das wird sich ohnehin ändern, sobald er zur Schule geht.“
Dies war ein weiterer Streitpunkt zwischen Liz und Edward. Er wollte David in das kleine Internat schicken, das er selbst besucht hatte. Aber sie meinte, mit sieben wäre ein Kind viel zu jung, um von den Eltern getrennt zu werden. Andere vertraten gegenteilige Ansichten. Die Frau des Vikars erklärte mitfühlend, für sie sei es schrecklich gewesen, ihre beiden Söhne in ein Internat zu geben. Aber Jungs müssten nun mal Disziplin lernen. Edward betonte, in der Schule würde David Kontakte knüpfen und Freunde finden, die ihm im späteren Leben helfen könnten, seine Position zu festigen. Es blieb zwar unausgesprochen, doch Liz fühlte sich zum ersten Mal, wenn auch auf subtile Weise, an ihre eigene wenig respektable Herkunft erinnert.
Bei der Hochzeit hatte sie keinen Gedanken an ihren gesellschaftlichen Auftrag verschwendet. Aber sie war nicht dumm, und sie wusste, dass man sogar in den Nachkriegsjahren allen Leuten mit dem richtigen Akzent und der richtigen Herkunft besondere Achtung erwies. Die Internatsgebühren konnten sie sich kaum leisten, aber Liz würde eben im Haushalt sparen müssen.
Natürlich wollte sie nur das Beste für David. Wenn sie mit ihm über die Zukunft sprach, schien er sich auf das Internat zu freuen. Er war
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