Schattenjahre (German Edition)
gehörte zu den Leuten, deren Gewissen ihnen verwehrte, die eigenen Interessen vor die anderen zu stellen.
Er hatte ihr das Versprechen abgenommen, ihm eine Woche Zeit zu lassen, ehe sie etwas Unwiderrufliches tat, und er hoffte inständig, sie würde Wort halten.
Sie brach ihr Versprechen tatsächlich nicht. Obwohl sie in einer Abtreibung den einzigen Ausweg sah, war sie froh über den Aufschub, froh über die kurze Frist, in der sie Lewis’ Kind unter dem Herzen tragen durfte. Den Gedanken, Edward doch noch zu verlassen und mit dem geliebten Mann nach Australien zu gehen, versagte sie sich.
David, Edward, Haus Cottingdean und die Fabriken – die Verantwortung, die sie dafür trug, wog schwerer als ihre egoistischen Wünsche.
Und dann erhielt sie einen Brief von Lewis, mit der flehenden Bitte, sich anders zu besinnen und ihm in seine Heimat zu folgen. Er beteuerte, er bereue seine zornige Anschuldigung, Cottingdean und alles, was es zu bieten habe, würde ihr mehr bedeuten als seine Liebe. Könne sie ihm verzeihen?
Liz geriet in neue Versuchung. Um dagegen anzukämpfen, setzte sie sich sofort an den Schreibtisch und beantwortete den Brief. Sie verbot Lewis, noch einmal in Verbindung mit ihr zu treten, behauptete grausam und völlig unwahrheitsgemäß, sie habe das kurze Abenteuer zwar genossen, aber nun sei es vorbei, und sie habe nie geplant, ihren Mann und Cottingdean zu verlassen.
Es war ein gefühlloser, sogar brutaler Brief. Und so musste es auch sein. Hätte sie nur angedeutet, wie sehr sie Lewis liebte, würde er niemals aufgeben und sein Leben mit sinnloser Sehnsucht nach ihr vergeuden. Und da sie niemals mit ihm leben konnte, wollte sie ihm die Möglichkeit geben, mit einer anderen Frau glücklich zu werden.
Andererseits – wenn sie sich von Edward trennte und Lewis nach Australien folgte, würde sie ihr Baby behalten … Instinktiv legte sie die Hände über den Bauch und starrte auf die Zeilen, die sie geschrieben hatte. Dann faltete sie das Blatt hastig zusammen, steckte es in den bereits adressierten Umschlag und klebte ihn zu, ehe ihr Entschluss ernsthaft wanken würde.
Nach dem Lunch brachte sie den Brief zur Post. Dabei begegnete sie Ian, der gerade auf dem Weg zu ihrem Mann war. Edward hatte ihm telefonisch mitgeteilt, er sei zu einer Entscheidung gelangt.
Das Herz wurde ihm schwer, als er dem Invaliden wenig später in der Bibliothek gegenübersaß. Die Miene seines Patienten erinnerte ihn an einen Henker.
„Wie nett, dass du so schnell gekommen bist“, begann Edward förmlich. „Chivers macht gerade Tee.“
Nach fünfzehn Minuten wurde der Tee serviert, und Chivers ließ die beiden Männer wieder allein. Nun verkündete Edward ohne Umschweife: „Mein Entschluss steht fest. Liz darf das Kind behalten, muss mir aber schwören, ihren Liebhaber nie wiederzusehen. Wer er ist, will ich gar nicht wissen, und ich möchte auch nicht mit ihr über die Angelegenheit diskutieren. Du sollst die Rolle des Vermittlers zwischen uns übernehmen, Ian, und sie über meine Entscheidung informieren. Leider bin ich selbst außerstande dazu. Das Kind wird wie David aufwachsen, als mein Sohn oder meine Tochter. Natürlich wird es nicht erbberechtigt sein. Haus Cottingdean mitsamt dem Grundstück wird später auf David übergehen, in dessen Adern wenigstens Danvers-Blut fließt. Dieses andere Kind ist kein Danvers …“ Kalte Abscheu schwang in seiner Stimme mit, wann immer er das Baby erwähnte, und Ians anfängliche Erleichterung verflog.
Würde Edward das Kind für Liz’ Fehltritt bestrafen? Würde sie diese Bedingungen akzeptieren?
„Mit deiner Hilfe lasse ich verlauten, das Baby sei nach der von dir genannten Methode gezeugt worden“, fügte der Invalide hinzu.
„Du bist sehr tapfer, Edward, und wirklich großherzig.“ Der Arzt erhob sich. „Ich weiß, du wirst deinen Entschluss nie bereuen. Aber nimm bitte Rücksicht auf deine Frau …“ Er wollte seinen Patienten an die Opfer erinnern, die Liz bereits gebracht hatte und noch bringen würde. Doch er fürchtete, ihn zu verärgern und womöglich zu veranlassen, die sicher nur halbherzig getroffene Entscheidung zu widerrufen. „Nun, dann werde ich Liz deine Wünsche erläutern. Vorhin traf ich sie im Dorf. Wenn es dir nichts ausmacht, möchte ich auf ihre Rückkehr warten.“
„Weiß sie, dass du an mich herangetreten bist?“, fragte Edward misstrauisch.
„Nein, sie glaubt, ich würde eine Abtreibung arrangieren.“
Als Liz nach
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