Schattenkrieger: Roman (German Edition)
ein Leichentuch über Dorminia gehangen hatten, waren endlich verschwunden. Nun stand die Stadt vor einem neuen Problem, denn jetzt wurden Leichen angespült. Es waren Hunderte aufgedunsener Körper, die aus den überschwemmten Ruinen von Schattenhafen mit den Meeresströmungen hergetrieben waren. Die Stadt der Schatten spie ihre Toten aus.
Während die Edelfrau ihn langsam zum Hafen schob, konnte Eremul die Aufräumarbeiten beobachten. Er hatte keine Ahnung, was die Frau mit ihm vorhatte, nahm aber an, dass es nicht angenehm werden würde.
Vielleicht wirft sie mich ins Hafenbecken. Ob mein Stuhl mich wie einen Stein geradewegs nach unten zieht? Oder werde ich mich von ihm lösen und eine Weile treiben, um gemächlicher zu ertrinken? Ich kann mich kaum entscheiden, was mir lieber wäre. Vielleicht fischt man mich mit einem Netz heraus, und ich lande als Leiche auf einem Fischkutter.
Er verspürte eine seltsame Ruhe. Wenn er schon sterben musste, dann war das Ertrinken vermutlich gar kein so schlechter Tod.
Wie sich herausstellte, verfolgte sein Plagegeist ganz andere Absichten. Kurz vor dem Hafen bogen sie nach links in eine schmale Gasse ab, in der auf beiden Seiten hohe Berge von Unrat lagen. Männer und Frauen mit groben Gesichtern liefen hier umher. Ob es am Auftreten der Edelfrau Cyreena lag, oder ob es einfach nur der erstaunliche Anblick einer attraktiven Frau war, die einen beinlosen Krüppel durch eines der schmutzigsten Stadtviertel schob, war nicht klar, jedenfalls wagte es niemand, sie zu belästigen, als sie durch die Gasse liefen und rollten. Schließlich hielt sie vor einem heruntergekommenen Haus an, das eigentlich kaum mehr als eine Hütte war. Die Tür war geborsten, und das Dach war in der Mitte eingesunken und voller Vogeldreck.
Die Augmentorin stand eine Weile dort und starrte das verfallene kleine Gebäude an. »Hier bin ich geboren«, sagte sie. Ihre Stimme verriet nicht, was in ihr vorging, doch die Worte schockierten ihn. Inzwischen schaffte er es sogar wieder, eine Augenbraue überrascht hochzuziehen.
»An die Unruhen, die während der Säuberung ausbrachen, kannst du dich vermutlich nicht erinnern. Ich glaube, damals warst du mehr oder weniger außer Gefecht gesetzt.«
Wie kommst du denn darauf?, wollte er sagen, doch die Lippen weigerten sich bislang noch, die Worte zu formen. Er begnügte sich mit einem Stirnrunzeln.
»In der Stadt herrschte das Chaos. Die Magier wehrten sich, wie man es wohl erwarten konnte, und suchten Unterstützung für einen Aufstand.« Sie blickte die schmutzige Straße entlang. »Ich war eine derjenigen, die am lautesten nach einer Veränderung riefen. Damals war ich Anfang zwanzig und in einen Anführer der Rebellion verliebt.«
Sie starrte die zerstörte Tür an, die schief in den Angeln hing. Als sie weitersprach, war sogar ein wenig Gefühl herauszuhören. »Meine Eltern waren Loyalisten und wollten keinen Ärger bekommen. Als der Aufstand in Gang kam und es hier draußen Kämpfe gab, es war gleich hier vorne«, sie deutete auf die verdreckte Häuserzeile, »überredete mich mein Geliebter, seine Bande in unser Haus zu lassen. Er wusste, dass ich auf der Seite der Aufständischen stand, und nahm an, meine Familie sei meiner Meinung. Die Rebellen verlangten von meinem Vater und meinem Bruder, am Kampf gegen die Soldaten teilzunehmen.«
Eremul hörte schweigend zu. Ihm blieb sowieso nichts anderes übrig, aber zu hören, wie diese kaltblütige Augmentorin von ihrer Vergangenheit erzählte, war auf eine seltsame Weise faszinierend. Außerdem schien es sie zu erleichtern, diese Erinnerung mit ihm zu teilen. Er hoffte, dass dies ein gutes Vorzeichen für die Entscheidung darüber war, was ihm bevorstand.
»Meine Familie … es gab einen heftigen Streit mit den Rebellen. Mein Bruder bekam ein Messer in die Kehle. Da verlor mein Vater die Beherrschung. Auch er wurde ermordet, während mein Geliebter mich zurückhielt. Ich schrie und trat um mich, aber er wollte mich nicht loslassen.«
Edelfrau Cyreena schwieg eine Weile. Ein seltsamer Schimmer lag in ihren Augen. »Mein Geliebter zerrte mich aus dem Haus, als seine Freunde meine Schwester vergewaltigten. Sie war fast noch ein Kind.«
Eremul glaubte, eine Träne in ihrem Augenwinkel zu entdecken, aber das konnte auch eine Täuschung sein. Ich sollte wohl dankbar sein, dass ich gelähmt bin, sonst würde sie am Ende noch erwarten, dass ich aufstehe und sie tröstend umarme. So etwas wäre uns beiden sicher
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