Schattenkrieger: Roman (German Edition)
wie du von einem beinlosen Krüppel gedemütigt wirst, oder?« Er fuhr rückwärts über Lashans andere Hand. Dieses Mal knackten die kleinen Knochen unter dem Rad. Die Schmerzensschreie wurden lauter.
»Das klingt, als hätte es wehgetan«, meinte Eremul beiläufig. »Und du hast mindestens noch acht weitere unverletzte Finger. Danach nehmen wir uns die Zehen vor, und anschließend, nun ja, dann wird es erst richtig interessant. Ich verfüge über eine lebhafte Fantasie.«
»Nein, nein! Hör auf, ich rede ja!« Die Worte kamen mehr als überstürzt heraus. Lashan quollen die Tränen aus den Augen und bildeten unter dem Kinn, wo schon Speichel heruntergetropft war, einen kleinen feuchten Fleck.
»Gut.« Eremul sah sich um. Allmählich wurden die Leute aufmerksam. Er wollte es rasch hinter sich bringen, ehe die Neugierde überhandnahm. »Was weißt du über Isaac?«
»Nichts«, antwortete Lashan hastig. »Ich bin ihm noch nie begegnet. Aber er lässt mich dafür bezahlen, dass ich ein Auge zudrücke, wenn Schiffe ein- und auslaufen. Ich weiß nicht, wen oder was sie mitbringen, und es ist mir auch egal.«
»Wie lange geht das schon so?«
»Das weiß ich nicht … drei oder vier Jahre.«
Drei oder vier Jahre. Wie ist das möglich? Wütend biss er die Zähne zusammen. »Wer hat dir gesagt, dass du hier nach Isaac suchen sollst?«
»Sein Mittelsmann«, erwiderte Lashan. »Er nennt sich die Krähe. Anscheinend hatten sie Streit.«
»Wo finde ich die Krähe?«
»Gar nicht«, erwiderte Lashan. »Er hat mir gesagt, wo ich Isaac finde, und dass er die Stadt verlassen wolle. Als ich ihm begegnet bin, hatte er bereits gepackt.«
»Er kann nicht verschwinden. Die Stadt ist abgeriegelt, und das Heer lagert draußen vor den Mauern.«
»Die Krähe tut, was ihr gefällt. Mehr weiß ich nicht, ich schwöre es dir.«
Eremul löste die magische Fesselung von Lashans Gliedmaßen. »Isaac ist nicht hier. Und noch etwas«, fügte er hinzu, als sich der Mann mit dem schütteren Haar die tauben Arme und Beine rieb. »Verrate niemandem ein Wort über unsere Begegnung. Nur wenige wissen, dass ich ein Magier bin. Ich möchte, dass es so bleibt. Hast du verstanden?«
Lashan nickte und lungerte noch einen Augenblick unsicher herum. Der Halbmagier seufzte wieder. »Bestechungsgelder anzunehmen ist im Grunde eine notwendige Voraussetzung, wenn man in dieser Stadt einen einflussreichen Posten bekleiden will. Ich sehe keine Veranlassung, dich zu melden. Geh mir aus den Augen.« Er sah dem Mann nach, als dieser sich eilig entfernte.
Er fühlte sich, als hätte er einen Tritt ins Gemächt bekommen, denn er hatte Isaac vertraut. War es möglich, dass sein Diener für Salazar spioniert hat? Nein, das war ausgeschlossen. Isaac wusste seit Monaten, dass sein Dienstherr gegen den Magierfürsten arbeitete. Salazar hätte die Zerstörung des Bergwerks im Jammertal keinesfalls zugelassen. Die Mine war viel zu wichtig für die Magievorräte der Stadt.
Sein Kopf pochte. Warum hatte er Isaac überhaupt in seine Pläne eingeweiht? Der Mann war offensichtlich viel raffinierter, als man es einem Diener normalerweise zutrauen würde.
Und warum habe ich Isaac eigentlich zum Jammertal geschickt? Die Frage juckte ihn wie ein Pickel, den er nicht erreichen konnte. Er wollte gerade wieder ins Archiv zurückkehren und seinen nutzlosen Körper ins Bett hieven, um endlich auszuruhen, da näherte sich ihm ein Straßenjunge.
»Bist du normal?«, fragte der Junge unsicher.
Eremul starrte das Bürschlein an, das mit verschmiertem Gesicht und zerlumpten Kleidern vor ihm stand. »Wenn man es recht bedenkt, müsste ich eigentlich Nein sagen«, erwiderte der Halbmagier vorsichtig.
»Oh.« Der Junge schien schwer enttäuscht. »Was ist mit deinen Beinen passiert?«
»Meine Beine? Willst du wissen, warum sie nicht hier sind?« Er blickte mit gespieltem Erstaunen an sich hinab. »Nun, ich glaube, sie sind einfach weggegangen. Sie waren es leid, jeden Tag die gleichen Fragen zu hören.«
Der Junge war verwirrt, und nun empfand Eremul sogar einen Hauch Mitleid. »Ich bin Eremul«, sagte er. »Bin ich derjenige, den du suchst?«
Der verwahrloste Junge kratzte sich am Kopf und wiederholte den Namen einige Male, dann nickte er. »Genau, das ist es! Eremul. Ich soll dir das hier geben.« Er griff in eine schmutzige Hosentasche und zog eine zusammengerollte Nachricht heraus. »Die Dame, die mich gebeten hat, den Brief abzuliefern, hat mir sechs Kupferstücke
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