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Schattenmelodie

Schattenmelodie

Titel: Schattenmelodie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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gegenüber der Speicherinsel wird dir das mittelalterliche Krantor auffallen. Ein riesiges Gebäude aus dunklem Holz. Es ist überhaupt nicht zu übersehen. Dort treffen wir uns.“
    Finn gab uns beiden die Hand.
    „Okay, bis später. Seht euch die Stadt ein wenig an. Der Durchgang Erde liegt ein Stück von Danzig entfernt. Ich werde erst mittags da sein, aber ich habe in Łeba ein Auto stehen.“
    Dann machte er sich auf den Weg zu seinem Durchgang Richtung Dünenhöhle. Janus klopfte mir auf die Schulter. Warum umarmte er mich nicht?
    „Alles in Ordnung bei dir?“
    „Ja, ich freue mich auf den Leuchtturm.“
    Ich lächelte ihn an, obwohl es mir insgeheim gerade lieber gewesen wäre, wir könnten den gleichen Durchgang passieren.
    Janus folgte Finn, während ich mich in die entgegengesetzte Richtung auf den Weg machte.
    Ich zog meine Schuhe aus und lief mit nackten Füßen durch den Sand. Kleine Wellen schwappten an den Strand, das Wasser war warm wie in der Karibik. Hin und wieder blitzten die Flossen von springenden Fischen auf. Ich sah ein paar weiße Schatten dicht unter der Wasseroberfläche gleiten. Undinen.
    Die Atmosphäre in dieser magischen Blase war ganz anders, bestimmt von Wind und einem Empfinden von großer Freiheit und Weite, während mich der magische Wald in Berlin eher in eine geheimnisvolle Stimmung versetzte.
    Lachen und polnische Wortfetzen einer Gruppe von Studenten drangen herüber, die sich am Strand tummelten und Jagd auf die Rauchkringel in der Luft machten. Würde mein Vater mich tatsächlich nicht mehr erkennen? Würde die Erinnerung in seinem leergefegten Kopf keinen Funken mehr schlagen? Es war sehr schwer, sich das vorzustellen. Ich schob den Gedanken beiseite und blickte zu dem Leuchtturm hinauf, der jetzt direkt vor mir aufragte, umgeben von großen, weißen Trocknungsfeldern, auf denen der Zucker in der Sonne blitzte wie Diamantenstaub. Ich stieg eine kleine Treppe zu einem offenen, runden Eingang hinauf.
    Das Innere des Leuchtturms beherbergte eine lange Wendeltreppe, die an den Innenwänden entlanglief. Ich begann hinaufzusteigen und trat einige Minuten später hinaus auf die Plattform, während die Stufen noch bis in die Spitze des Turms weiterführten, wo es bestimmt so jemanden wie Pio gab, der dort schaltete und waltete und das magische Meer überwachte.
    Ich blickte auf das tiefblaue Wasser hinab, wie es gegen den Felsen brandete, auf dem der Leuchtturm stand. Genau vor mir schien es in einem kreisrunden Durchmesser von etwa zwanzig Metern nach allen Seiten wegzuweichen und in seiner Tiefe nicht den Grund des Meeres, sondern den Himmel von Danzig freizugeben. Gerade begann es in der Stadt zu dämmern und der Himmel hob sich in einem zartblauen Fliederton von dem dunklen Meer ab, das ihn umgab.
    Ich holte einen dicken Pullover, eine wattierte Weste, dicke Strumpfhosen und feste Schuhe aus meinem Rucksack, zog alles über und setzte mir eine Wollmütze auf. Dann ging ich zur Absprungstelle, dort, wo ein Stück in der Brüstung fehlte, breitete die Arme aus und ließ mich fallen. Der Wind fing mich auf und trug mich in den Himmel von Danzig.
     
    Unter mir erwachten gerade die wunderschönen Häuser der alten Hansestadt. Lichter gingen in den Fenstern an. Absätze klapperten über das Kopfsteinpflaster. Die Einheimischen begannen ihren Alltag, während die Touristen noch fest in ihren Hotelbetten schliefen. Dunkel und mächtig erhob sich das Krantor vor mir. Hier hatte man bereits vor hunderten von Jahren Waren auf große Schiffe geladen. Ich dachte an Ranja, die im Mittelalter geboren worden war. Alles kam mir auf einmal so unwirklich vor, als würden die Dinge letztendlich immer nur in unserem Kopf stattfinden.
    Ich setzte mich auf ein Geländer an der Motława und bestaunte das riesige alte Schiff, das gerade am Kai festmachte. Janus hatte nicht übertrieben, es stand dem großen Segelschiff aus „Fluch der Karibik“ in nichts nach. An diesem Ort voller Geschichte hob sich die reale Welt von einer magischen Blase gar nicht so signifikant ab. Danzig war zugleich eine moderne Stadt und eine Zeitreise ins Mittelalter, und sie schien einem Märchen entsprungen zu sein. All diese Eindrücke lenkten mich auf beruhigende Weise von meinem eigentlichen Vorhaben ab.
    Bald tauchte Janus in einem Schlauchboot neben dem alten Segler auf, machte es an der Kaimauer fest und kletterte hinaus. Ich sprang auf ihn zu, blieb aber kurz vor ihm stehen, ohne ihn zu berühren.
    „Wie

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