Schattenmenagerie
der
Zeit überlassen. Ich fürchte, ich muss mich noch intensiver mit dem Privatleben
der hohen Adeligen auseinandersetzen, auch wenn mir das ziemlich zuwider ist.
Anders komme ich mit den Mitteln,
die mir zur Verfügung stehen, nicht voran. Er musste still vor sich hin lächeln.
Mein Gott, was meinte Micha neulich: ›Onkel Michel, du weißt doch, dass du dich
auf uns verlassen kannst. Schließlich wollen Vivi und die anderen vom 1. FC Eutin
ja auch, dass der Mörder vom Stolberg gefasst wird. Wir helfen dir. Echt! – Wir
haben da so unsere eigenen Methoden‹ – eigenen Methoden … – Na, schön wär’s ja.
– Diese Kids. Meinen, sie können alles besser als die Erwachsenen!
Kapitel 15: Das Konzert
Ein für die Gegend seltener, plötzlicher Kaltlufteinbruch hatte an
diesem Sommerabend dafür gesorgt, dass sich über dem Ukleisee eine dichte Nebeldecke
ausbreitete. Sie war keineswegs gleichmäßig. Die kondensierte Luftfeuchtigkeit bildete
ein unendliches, ständig variierendes Wechselspiel von milchigen Luftschlössern,
fahlen Gespensterfiguren und schneebedeckten Vulkankratern. Es roch nach Vergänglichkeit
und nach verblassten Erinnerungen. Wer anderes als das sagenumwobene norddeutsche
Ostholstein konnte ein derartiges Szenario erschaffen! Ein fremder Wanderer hätte
es in dieser Mittsommernacht schwer gehabt, seinen Weg rechtschaffen zu finden.
Nur wer ortskundig, glaubensfest und beherzt war, hatte eine Chance, sich in dem
suppigen Nebeldickicht zurechtzufinden.
Je dichter die Feuchtigkeitsmassen
waren, desto besser leiteten sie den Schall. Das Knurren der Rotbauchunken klang
heute wie das Geläut zu einer Totenmesse im Lübecker Dom. Die kleinen kriechenden
und fliegenden Waldbewohner vereinigten sich in ihrem Angst einflößenden Gespött
zu einer Natursinfonie, wie sie der gebürtige Eutiner Carl Maria von Weber nicht
hätte gruseliger komponieren können. Es klang, als würden sich die Waldschrate,
die Wassernixen und die Luftgeister zu einer bacchischen Hochzeit treffen.
Hoch über dem See baute sich das
Jagdschloss Uklei auf dem Hügelwall wie eine Insel über dem Nebelmeer auf. Von hier
oben hatte man einen Blick auf die Landschaft, als wäre man in ein berühmtes Gemälde
von Caspar David Friedrich eingestiegen. Nichts war von dem See dort unten zu erkennen.
Gab es ihn überhaupt? Oder war dort nichts weiter als eine kesselförmig in die Hügelkette
eingelassene Wiese, so, wie es die alte Sage wollte? – War das Reale eine Täuschung,
war das Traumhafte die Wirklichkeit? Was war Geist, was war Materie? Wer würde es
wagen, Grenzen zwischen beiden zu ziehen?
Im Konzertsaal des Jagdschlosses
funkelten die neuen, von der Sparkasse gestifteten Kronleuchter. Ihr Neonlicht drang
wie Dolche brutal durch die schmalen Sprossenfenster nach draußen und verlor sich,
stumpf geworden, reflektierend in den Nebelwänden. Hätte man doch lieber auf traditionelle
Kerzenständer zurückgegriffen. Deren Licht hätte sich mit dem Leuchten, das von
den Nebelschwaben nach hier oben drang, versöhnt.
Die meisten Konzertbesucher des
heutigen Abends störte das nicht. Im Gegenteil. Das schamlose Neonlicht beleuchtete
vorteilhaft die auserwählte Abendgarderobe. Und geschickte Schminke täuschte Glück
und Jugendlichkeit vor. Der teure Modeschmuck glitzerte, und in den leeren Augen
vieler Anwesenden bildeten sich Lichtreflexe, so, als würden sie von geistiger Lebendigkeit
und kulturellem Geschmack zeugen. Auch dies eine neblige Täuschung.
In den ersten Reihen saßen die Ehrenbürger
und Mäzene der Region. Allen voran glänzten die Familie des Herzogs von Altenburg,
der Bürgermeister, der Pfarrer und der Schulrektor. Die Hausherrin, Gräfin Barbara
von Bülow, hatte die Ehre, neben dem Jungherzog zu sitzen. Sie trug ein langes,
wallend weißes Kleid, das fast wie ein Hochzeitskleid aussah. In den hinteren Reihen
munkelte man bereits von einer etwaigen Vermählung der beiden. Das würde Eutin in
neuem Glanz erstrahlen lassen: Der vornehme Jungherzog liiert mit der begüterten
Gräfin.
Im krassen Gegensatz dazu wurden
sie flankiert von ein paar nicht sonderlich elegant gekleideten Jugendlichen, die
sich verlegen in den kostbaren Konzertsesseln wanden. Antonio, Noël und einige vom
1. FC Eutin. Auch Micha war dabei. Viviana hatte darauf bestanden, dass ihre engsten
Freunde einen Sonderplatz bekamen. Und die Gräfin als Gastgeberin hatte sich großmütig
gezeigt. Schließlich gehöre der Jugend die
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