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Schattennacht

Schattennacht

Titel: Schattennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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ihm verboten, den Raum zu betreten, weil seine finstere Erscheinung den scheuen jungen Künstler womöglich eingeschüchtert hätte.
    Falls der Russe entgegen meinem Wunsch doch hereinkam, würde ich ihm die Mütze vom Kopf reißen, meinen Hintern darauf platzieren und drohen, sie mit meiner Duftmarke zu versehen, wenn er nicht sofort wieder verschwand. Wenn es darauf ankommt, kann ich nämlich schonungslos durchgreifen.
    Vorerst setzte ich mich Jacob gegenüber an den Tisch und sagte: »Ich bin es wieder. Der Odd Thomas.«
    Gegen Ende meines vorherigen Besuchs hatte er auf viele meiner Bemerkungen und Fragen mit Schweigen reagiert. Offenbar zog er sich in solchen Fällen gern an einen Ort in seinem Innern
zurück, an dem er andere Menschen nicht mehr hören konnte, ja nicht einmal mehr meine Anwesenheit wahrnahm.
    »Das neue Porträt deiner Mutter ist sehr schön geworden. Es ist eines deiner besten.«
    Ich hoffte, dass er in gesprächigerer Stimmung war als vorher. Leider bewahrheitete sich das nicht.
    »Bestimmt ist sie sehr stolz auf dein Talent gewesen.«
    Jacob, der gerade den letzten Bleistift gespitzt hatte, behielt ihn in der Hand und richtete den Blick auf das leere Blatt, das auf dem Zeichenbrett bereitlag.
    »Seit ich das letzte Mal hier war«, sagte ich, »hab ich ein herrliches Roastbeefsandwich mit einer knackigen Essiggurke verputzt, die wahrscheinlich nicht vergiftet war.«
    Jacobs dicke Zunge schob sich ein kleines Stück weit aus dem Mund. Er biss leicht darauf. Vielleicht überlegte er, wie er den ersten Bleistiftstrich setzen sollte.
    »Dann hat irgendein übler Typ mich um ein Haar im Glockenturm aufgehängt, ich wurde von einem großen gruseligen Ding durch einen Kellergang gejagt, und schließlich war ich mit Elvis Presley im Schnee.«
    Er begann, leicht und flüssig den Umriss von etwas zu zeichnen, das ich aus meinem Blickwinkel nicht erkennen konnte.
    Romanovich, der brav an der Tür geblieben war, seufzte ungeduldig.
    »Tut mir leid«, sagte ich, ohne zu ihm hinzuschauen. »Ich weiß, dass meine Vernehmungstechnik nicht so direkt ist wie die eines Bibliothekars.«
    Zu Jacob sagte ich: »Schwester Miriam hat mir erzählt, du hättest deine Mutter verloren, als du dreizehn warst. Das ist also schon über zwölf Jahre her.«
    Jetzt erkannte ich, was er zeichnete: ein Boot, schräg von oben gesehen.

    »Ich habe meine Mutter nicht verloren, weil ich nie richtig eine hatte. Aber ich habe eine Frau verloren, die ich geliebt habe. Sie war mein Ein und Alles.«
    Mit ein paar Linien deutete er an, dass das Meer sanft wogte.
    »Sie war wunderschön, diese Frau, auch in ihrem Herzen. Sie war freundlich und zugleich hart im Nehmen, lieb und entschlossen. Außerdem war sie klug, klüger als ich. Und unheimlich lustig.«
    Jacob hielt inne, um zu betrachten, was er bisher zu Papier gebracht hatte.
    »Das Leben war hart gewesen für diese Frau, Jacob, aber sie hatte ganz viel Mut.«
    Seine Zunge zog sich zurück, und er biss sich stattdessen auf die Unterlippe.
    »Wir haben nie miteinander geschlafen. Wegen etwas Schlimmem, das ihr als kleines Mädchen zugestoßen war, wollte sie warten … so lange, bis wir es uns leisten konnten zu heiraten.«
    Mit zwei verschiedenen Schraffurstilen verlieh Jacob dem Rumpf des Boots Substanz.
    »Manchmal hab ich gedacht, ich könnte nicht mehr warten, aber dann hab ich es stets doch geschafft. Es ging, weil sie mir so viele andere Dinge geschenkt hat, und alles, was sie mir geschenkt hat, war mehr, als irgendjemand anders mir je hätte geben können. Sie wollte geliebt, aber auch geachtet werden, das war ihr ganz wichtig, und das konnte ich ihr geben. Was sie in mir gesehen hat, weiß ich nicht. Aber das konnte ich ihr geben.«
    Flüsternd strich der Bleistift übers Papier.
    »Sie hat vier Kugeln in die Brust und in den Bauch bekommen. Meine geliebte Stormy, die nie jemandem etwas zuleide getan hat.«
    Die Bewegung des Bleistifts tröstete Jacob. Ich konnte sehen, wie viel Kraft er daraus schöpfte, etwas zu erschaffen.

    »Ich habe den Mann getötet, der sie getötet hat, Jacob. Wäre ich nur zwei Minuten früher eingetroffen, dann hätte ich ihn vielleicht erwischt, bevor er sie töten konnte.«
    Der Bleistift stockte, bewegte sich dann jedoch weiter.
    »Es war uns bestimmt, für immer zusammen zu sein. Das stand auf einer Karte, die wir von einer Wahrsagerin bekommen hatten. Und es stimmt, wir werden immer zusammen sein. Das, was sich hier und jetzt ereignet, ist

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