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Schattennacht

Schattennacht

Titel: Schattennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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fragte sie.
    Ein Kurzfilm flackerte mir durch den Kopf. Darin verwendete die Mutter Oberin einen cleveren Taekwondogriff, um dem Russen den Arm hinter dem Rücken zu verdrehen, worauf sie ihn hinunter in die Küche schaffte, in der Ecke auf einen Hocker setzte und ihm befahl, dort bis zum Ende des Gefechts hübsch stillzuhalten.
    »Danke, Ma’am, aber es ist mir lieber, wenn er in meiner Nähe bleibt. Dann muss ich nicht nachgrübeln, wo er gerade ist und was er vorhat.«
    An der Schwesternstation saß hinter der Theke immer noch Schwester Miriam, die unablässig Dank sei Gott auf den Lippen trug, zumindest auf der unteren.
    »Oddie«, sagte sie, »die dunkle Wolke des Geheimnisses, die dich umgibt, wird allmählich so dicht, dass ich dich bald nicht mehr sehen kann. Na, irgendwann wird der Smog sich bestimmt verziehen, und dann weiß ich, wer du wirklich bist.«
    »Wenn ich das nur selber wüsste! Hören Sie, Ma’am, ich brauche Ihre Hilfe. Sie kennen doch Justine in Zimmer zweiunddreißig? «
    »Mein Lieber, ich kenne nicht nur jedes Kind hier, sondern liebe sie auch alle, als wären sie meine eigenen.«
    »Als Justine vier Jahre alt war, wollte ihr Vater sie in der Badewanne ertränken. Das hat er versehentlich nicht zu Ende gebracht, während er bei ihrer Mutter erfolgreich war. Stimmt das?«
    Ihre Augen wurden schmal. »Ich will mir gar nicht vorstellen, an welchem Ort seine Seele jetzt vermodert.« Sie warf einen Blick auf ihre Oberin und fügte in leicht schuldbewusstem Ton
hinzu: »Ehrlich gesagt, stelle ich es mir nicht nur manchmal vor, ich genieße diese Vorstellung sogar!«
    »Was ich wissen will, ist Folgendes: Hat er es womöglich doch zu Ende gebracht, sodass Justine einige Minuten tot war, bevor ein Polizist oder ein Rettungssanitäter sie wiederbelebt hat? Wissen Sie darüber Bescheid?«
    »Ja, Oddie«, antwortete Schwester Angela an Miriams Stelle. »Wir können zwar zur Sicherheit in ihrer Akte nachschauen, aber ich glaube, so war es tatsächlich. Durch den langen Sauerstoffmangel hat sie einen Gehirnschaden erlitten. Als die Polizei die Tür aufgebrochen und sie gefunden hat, waren keinerlei Lebenszeichen mehr erkennbar.«
    Deshalb konnte das Mädchen also als Brücke zwischen unserer Welt und der nächsten dienen – es war einmal dort drüben gewesen, wenn auch nur kurz, bis es von Leuten mit den besten Absichten zurückgeholt worden war. Stormy hatte durch Justine Kontakt zu mir aufnehmen können, weil diese im Grunde mehr auf die andere Seite gehörte als hierher.
    »Gibt es noch andere Kinder, die durch Sauerstoffmangel denselben Schaden erlitten haben?«, fragte ich.
    »Einige«, antwortete Schwester Miriam.
    »Ist eines von ihnen vielleicht lebhafter als Justine? Moment, nein, darum geht es nicht. Sind welche in der Lage zu sprechen? Das muss ich wissen!«
    Rodion Romanovich, der neben die Mutter Oberin an die Theke getreten war, blickte mich finster an. So musste ein Leichenbestatter aussehen, der Arbeit brauchte und meinte, ich sei ein baldiger Kandidat zum Einbalsamieren.
    »Ja«, sagte Schwester Angela, »da gibt es mindestens zwei.«
    »Drei«, korrigierte Schwester Miriam.
    »Ma’am, war eines dieser Kinder klinisch tot und wurde dann wiederbelebt wie Justine?«

    Stirnrunzelnd blickte Schwester Miriam ihre Oberin an. »Weißt du das?«
    Schwester Angela schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich steht das in den Akten.«
    »Wie lange brauchen Sie, um die durchzuschauen, Ma’am?«
    »Eine gute halbe Stunde, denke ich. Vielleicht findet sich ja schon in der ersten Akte etwas.«
    »Würden Sie sich dann bitte sofort daranmachen, Ma’am? Ich brauche ein Kind, das einmal tot war, aber noch sprechen kann.«
    Von den drei Personen, die mich anstarrten, wusste nur Schwester Miriam noch nichts von meinem sechsten Sinn. »Also, Oddie, jetzt wirst du mir allmählich richtig unheimlich!«
    »Das war ich schon immer, Ma’am.«

42
    In Zimmer 14 hatte Jacob das neueste Porträt seiner Mutter vollendet und mit Fixiermittel besprüht. Dann hatte er in Erwartung des leeren Blatts auf dem Zeichenbrett jeden seiner vielen Bleistifte sorgfältig mit dem Schmirgelpapierklotz angespitzt.
    Neben seinen Utensilien stand ein Serviertablett mit leeren Tellern und benutztem Besteck.
    Hier waren momentan keinerlei Bodachs anwesend. Dafür stand der düstere Geist, der sich Rodion Romanovich nannte, in der offenen Tür, den Mantel über einen Arm gelegt, doch die Fellmütze noch immer auf dem Kopf. Ich hatte

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