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Schattennacht

Schattennacht

Titel: Schattennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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unauffällig den Finger an die Lippen, was er zumindest dann verstehen musste, wenn er doch ein echter Bibliothekar war.
    Obwohl ich die Bodachs aus dem Augenwinkel beobachtete, tat ich so, als wäre ich nur an Jacobs Darstellung eines auf dem Meer schaukelnden Bootes interessiert.
    Bisher habe ich nur einen anderen Menschen kennengelernt, der ebenfalls Bodachs sehen konnte, einen sechsjährigen Jungen aus England. Wenige Augenblicke, nachdem er in Hörweite dieser finsteren Wesen laut über sie gesprochen hatte, wurde er von einem außer Kontrolle geratenen Lastwagen überfahren.
    Laut der gerichtsmedizinischen Untersuchung in Pico Mundo hatte der Fahrer des Lastwagens einen Schlaganfall erlitten und war über dem Lenkrad zusammengebrochen.
    Ja, genau. Schließlich geht auch die Sonne jeden Morgen nur durch reinen Zufall auf und abends wieder unter.
    Nun, in Zimmer 14, wartete ich, bis die Bodachs den Raum verlassen hatten. Erst dann sagte ich zu Romanovich: »Eine kleine Weile waren wir nicht allein.«
    Ich schlug die dritte Zeichnung auf dem Block in meinen Händen auf und starrte auf die gesichtslose, mit einer Kette aus Menschenzähnen geschmückte Gestalt des Todes. Die folgenden Blätter waren leer.

    Als ich den Block auf den Tisch in Jacobs Nähe legte, warf er keinen Blick darauf, sondern blieb ausschließlich auf sein aktuelles Werk konzentriert.
    »Jacob, wo hast du dieses Ding gesehen?«
    Er antwortete nicht. Hoffentlich hatte er sich nicht wieder in sich zurückgezogen.
    »Weißt du, ich habe dieses Ding auch gesehen. Heute erst. Oben auf dem Glockenturm.«
    Jacob legte seinen Bleistift weg und nahm sich einen neuen. »Er kommt hierher«, sagte er.
    »In dieses Zimmer? Wann ist er denn zuletzt gekommen?«
    »Schon oft.«
    »Und was tut er hier?«
    »Jacob beobachten.«
    »Er beobachtet dich einfach?«
    Aus dem Bleistift floss das Meer. Die ersten Striche und Schraffuren ließen darauf schließen, dass das Wasser unheimlich, wogend und dunkel werden sollte.
    »Weshalb beobachtet er dich denn?«, fragte ich.
    »Du weißt schon.«
    »Ach so? Dann habe ich es wohl vergessen.«
    »Er will mich tot haben.«
    »Das letzte Mal hast du gesagt, der Nimmerwar will, dass du tot bist.«
    »Er ist der Nimmerwar, und es ist uns egal.«
    »Diese Zeichnung, die Gestalt mit der Kapuze … ist das der Nimmerwar?«
    »Hab keine Angst vor ihm.«
    »Ist das derjenige, der damals zu dir gekommen ist, als du krank warst? Als du voll vom Schwarzen warst?«
    »Der Nimmerwar hat gesagt: ›Lasst ihn sterben‹, aber sie hat Jacob nicht sterben lassen.«

    Entweder sah Jacob Geister, so wie ich, oder diese Gestalt von Gevatter Tod war ebenso wenig ein Geist wie die wandelnden Knochengebilde.
    Um diese These zu überprüfen, fragte ich: »Deine Mutter hat den Nimmerwar gesehen?«
    »Sie hat gesagt, er soll kommen, und er kam bloß das eine Mal.«
    »Wo warst du, als er gekommen ist?«
    »Da, wo sie alle Weiß getragen haben und quietschige Schuhe. Mit Nadeln haben sie da gestochen.«
    »Also warst du im Krankenhaus, als der Nimmerwar gekommen ist. Hat er da denn auch eine schwarze Kutte mit Kapuze und eine Halskette aus Zähnen getragen?«
    »Nein. So war er nicht, lange her, bloß jetzt.«
    »Und damals hatte er ein Gesicht, nicht wahr?«
    In abgestuften Tönen bildete sich das Meer, erfüllt von der ihm eigenen Dunkelheit, doch an manchen Stellen, wo sich der Himmel spiegelte, hell.
    »Jacob, hatte er damals, lange her, ein Gesicht?«
    »Ein Gesicht und Hände, und sie hat gesagt: ›Was ist nur los mit dir?‹, und er hat gesagt: ›Es liegt an ihm‹, und sie hat gesagt: ›Mein Gott, mein Gott, hast du etwa Angst, ihn zu berühren? ‹, und er hat gesagt: ›Mach mir bloß keinen Vorwurf deshalb‹.«
    Er hob den Bleistift vom Papier, weil seine Hand zitterte.
    Seine Stimme war voller Emotion gewesen. Am Ende der für ihn ungewohnt langen Passage hatte sein leichter Sprachfehler sich verstärkt.
    Um ihn nicht verstummen zu lassen, indem ich ihn zu sehr unter Druck setzte, ließ ich ihm Zeit, sich zu beruhigen.
    Als seine Hand zu zittern aufhörte, wandte er sich wieder der Zeichnung zu.

    »Hör mal, du hilfst mir gerade unheimlich, Jacob. Das finde ich toll, gerade weil ich weiß, es ist nicht leicht für dich.«
    Er warf mir einen fast verstohlenen Blick zu, um sich sofort wieder dem Zeichenblock zuzuwenden.
    »Jacob, könntest du wohl etwas für mich zeichnen? Zeichnest du mir das Gesicht des Nimmerwar, so wie er ausgesehen

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