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Schattennacht

Schattennacht

Titel: Schattennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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es mehr Gemeinsinn und weniger Straßengangs gab. Daraufhin war er vor fünfzehn Jahren erst Postulant und dann Novize geworden, und seit einem Jahrzehnt war er Mönch mit allen Gelübden.
    Nun hatte er gerade das Fenster von Jacobs Zimmer untersucht und sagte: »Als dieses Gemäuer zum Internat umgebaut wurde, hat man einige der Fenster im Erdgeschoss vergrößert oder ersetzt. Die haben Holzsprossen. Hier oben gibt es jedoch nur alte Fenster, die kleiner sind und Sprossen aus Bronze haben. Selbst der Rahmen ist aus Bronze gemacht.«
    »Da kann sich nichts so ohne Weiteres durchfressen oder die Fenster in Stücke hacken«, meinte Bruder Knoche.
    »Und die Scheiben«, fügte Romanovich hinzu, »sind kaum dreißig Quadratzentimeter groß. Das Ding, dem wir im Sturm begegnet sind, passt deshalb nicht hindurch. Selbst wenn es ihm gelingen sollte, das gesamte Fenster herauszureißen, wäre es zu groß, um ins Zimmer zu gelangen.«
    »Das unten im Keller war leider ein ganzes Stück kleiner«, wandte ich ein. »Durch eine einzelne Scheibe würde es zwar nicht passen, aber durchs ganze Fenster schon.«
    »Der Flügel geht nach außen auf«, bemerkte Bruder Maxwell und tippte auf den Griff. »Wenn es eine Scheibe zerschmettert und hindurchgreift, blockiert es das Fenster, das es aufmachen will.«
    »Während es sich an die Mauer draußen klammern muss«, sagte Romanovich.
    »Bei starkem Wind«, schloss Bruder Maxwell.
    »Dazu könnte es durchaus in der Lage sein«, meinte ich, »und dabei noch auf sieben Bambusstangen sieben Teller kreisen lassen.«
    »Nee«, widersprach Bruder Knoche, »vielleicht drei Teller, aber keine sieben. Wir sind hier wirklich gut geschützt.«
    Ich ging neben Jacob in die Hocke. »Das ist eine schöne Stickerei«, sagte ich.
    »Hab immer was zu tun«, sagte er mit gesenktem Kopf, ohne den Blick von seiner Arbeit zu heben.
    »Das ist gut«, sagte ich.
    »Wenn man was zu tun hat, geht’s einem gut«, sagte er. Das stammte wohl von seiner Mutter, die ihm beigebracht hatte, welche Befriedigung es verschafft, der Welt das zu schenken, was man zu ihr beitragen kann.
    Abgesehen davon gab ihm seine Arbeit auch einen Grund, jeglichen Blickkontakt zu vermeiden. In seinen fünfundzwanzig Lebensjahren hatte er wahrscheinlich schon in zu vielen Augen Schock, Abscheu, Verachtung und kranke Neugier gesehen. Da war es besser, allen Blicken außer denen der Nonnen auszuweichen und sich auf Augen zu konzentrieren, die man mit einem Bleistift zeichnen konnte, um ihnen die Liebe und die Zärtlichkeit zu verleihen, nach denen man sich sehnte.
    »Dir wird bestimmt nichts geschehen«, sagte ich.
    »Er will mich tot haben.«
    »Was er will und was er bekommt, ist nicht dasselbe. Deine Mutter hat ihn den Nimmerwar genannt, weil er nie für euch beide da war, wenn ihr ihn gebraucht hättet.«
    »Er ist der Nimmerwar, und es ist uns egal.«
    »Genau. Er ist der Nimmerwar, und dabei wird es auch bleiben. Er wird dir nie wehtun, wird nie an dich rankommen, solange ich hier bin und solange auch nur eine Schwester oder ein Bruder hier ist. Und die sind alle hier, Jacob, weil du jemand Besonderes bist. Du bist ihnen wichtig, und mir auch.«
    Jacob hob den missgestalteten Kopf und sah mir in die Augen. Diesmal wandte er nicht sofort wieder scheu den Blick ab.

    »Alles in Ordnung?«, fragte er.
    »Ja, klar. Und bei dir?«
    »Ja, mir geht’s gut. Aber du … bist du in Gefahr?«
    Weil er eine Lüge erkannt hätte, antwortete ich: »Vielleicht ein wenig.«
    Seine Augen, von denen eines höher in dem verzogenen Gesicht saß als das andere, waren ganz klar, voller Ängstlichkeit und Mut.
    Jacobs Blick wurde so scharf, wie ich es noch nie gesehen hatte, und seine leise Stimme wurde noch leiser: »Hast du gebeichtet?«
    »Ja.«
    »Und die Absolution?«
    »Die habe ich empfangen.«
    »Wann?«
    »Gestern.«
    »Also bist du bereit.«
    »Das hoffe ich, Jacob.«
    Er sah mir nicht nur unverwandt in die Augen, sondern schien auch etwas darin zu suchen. »Es tut mir leid.«
    »Was denn?«
    »Das mit deiner Freundin.«
    »Danke, Jacob.«
    »Ich weiß etwas, das du nicht weißt«, sagte er.
    »Und das wäre?«
    »Ich weiß, was sie in dir gesehen hat«, sagte er und lehnte den Kopf an meine Schulter.
    Er hatte getan, was nur wenigen anderen Leuten je gelungen war, obwohl es viele versucht hatten: Er hatte mich sprachlos gemacht.
    Ich legte den Arm um ihn, und so saßen wir eine Minute lang einfach da. Keiner von uns brauchte noch etwas zu

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