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Schattennacht

Schattennacht

Titel: Schattennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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Amokschützen ein Einkaufszentrum in Pico Mundo stürmten, habe ich so viele Schreie gehört, dass ich danach hoffte, meine Ohren würden versagen. Einundvierzig unschuldige Menschen wurden von Schüssen getroffen, neunzehn davon sind ums Leben gekommen. Deshalb wäre ich bereit gewesen, nicht nur alle Musik der Welt, sondern auch die Stimmen meiner Freunde gegen eine Stille einzutauschen, die es mir mein restliches Leben erspart hätte, Schreie voll Schmerz und Todesangst zu hören.
    Nur allzu oft hoffen wir auf das Falsche, und auch meine selbstsüchtige Hoffnung hat sich natürlich nicht erfüllt. Ich bin nicht taub gegenüber Schmerz oder blind gegenüber Blut – und auch nicht tot, wie ich es mir eine Weile gewünscht hätte.
    Instinktiv eilte ich um die nächste Ecke der Abtei. Von dort aus lief ich nordwärts am Refektorium vorbei, wo die Mönche alle Mahlzeiten einnahmen. Angesichts der frühen Stunde brannte dort kein Licht.
    Durch den Vorhang aus Schnee hindurch spähte ich mit zusammengekniffenen Augen zum im Westen liegenden Wald
hinüber. Falls sich dort jemand befand, war er im Gestöber verborgen.
    Das Refektorium bildete einen Innenwinkel mit dem Bibliotheksflügel. An der Ecke lief ich wieder nach Westen, an tief in die Wand gesetzten Fenstern vorbei, hinter denen im Dunkel sauber geordnete Bücherreihen standen.
    Als ich um die Südwestecke der Bibliothek kam, wäre ich fast über einen Mann gestürzt, der mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden lag. Er trug eine schwarze Mönchskutte mit Kapuze.
    Vor Überraschung atmete ich trotz der Kälte heftig ein und spürte ein kurzes Stechen in der Brust, bevor ich die Luft wieder ausstieß.
    Ich sank neben der liegenden Gestalt auf die Knie, zögerte dann jedoch, sie zu berühren, denn ich hatte Angst, dass sie nicht einfach hingefallen, sondern zu Boden geschlagen worden war.
    Die Welt jenseits dieses Bergtals war vielerorts barbarisch; ein Zustand, auf den sie sich etwa eineinhalb Jahrhunderte lang konsequent zubewegt hatte. Was sich einst zu Recht als Zivilisation bezeichnet hatte, war nun nur noch ein Vorwand, eine Maske, die es allerhand Barbaren gestattete, immer größere Grausamkeiten im Namen von Tugenden zu begehen, die eine wahrhaft zivilisierte Welt jederzeit als Übeltaten erkannt hätte.
    Nachdem ich vor dieser barbarischen Unordnung geflohen war, gestand ich mir nur ungern ein, dass ich davor nirgendwo geschützt war, weil nichts sich außerhalb der Reichweite der Anarchie befand. Womöglich war die am Boden liegende Gestalt ein soliderer Beweis als die Bodachs, dass kein Zufluchtsort existierte, an den ich mich sicher zurückziehen konnte.
    In Erwartung eines zerschlagenen oder aufgeschlitzten Gesichts berührte ich den schwarzen Stoff der Kutte, der bereits von etlichen Schneeflocken bedeckt war. Mit einem ahnungsvollen Schauder drehte ich den Mann auf den Rücken.

    Der fallende Schnee schien Licht in die Nacht zu bringen, doch es war ein gespenstisches Licht, das nichts erhellte. Obwohl die Kapuze vom Gesicht des Mannes geglitten war, konnte ich es nicht gut genug sehen, um ihn zu identifizieren.
    Als ich ihm eine Hand auf den Mund legte, spürte ich keinen Atem und auch keinen Bart. Letzteres hatte nicht viel zu sagen, denn manche der Brüder trugen Bärte, andere nicht.
    Ich drückte dem Mann die Fingerspitzen an den Hals, der noch warm war, und tastete nach der Schlagader. Dabei glaubte ich, einen Puls zu entdecken.
    Weil meine Hände vor Kälte halb taub und daher nicht besonders empfindlich waren, hatte ich beim Berühren der Lippen womöglich nicht gespürt, dass doch ein leichter Atemhauch ging.
    Als ich mich vorbeugte, um zur Sicherheit mein Ohr an den Mund des Mannes zu legen, bekam ich hinterrücks einen Schlag auf den Kopf.
    Zweifellos hatte der Angreifer mir den Schädel zerschmettern wollen. Da er jedoch offenbar gerade in dem Augenblick zugeschlagen hatte, in dem ich mich vorbeugte, streifte der Knüppel nur meinen Hinterkopf und prallte hart an meiner linken Schulter ab.
    Ich warf mich auf den Boden, rollte mich nach links ab, wiederholte die Rolle, kam taumelnd auf die Beine und rannte los. Ich hatte keine Waffe. Der Angreifer hingegen besaß einen Knüppel und vielleicht noch etwas Schlimmeres, zum Beispiel ein Messer.
    Mörder, die gerne handgreiflich werden, statt eine Schusswaffe zu verwenden, schlagen unter Umständen zuerst mit einem Knüppel zu oder würgen ihr Opfer mit einem Schal, aber die meisten haben

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