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Schattennacht

Schattennacht

Titel: Schattennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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die Reifenspuren der vor Kurzem abgefahrenen Polizeiautos
kennzeichneten den Verlauf des Fahrwegs. Sonst hatte der Schnee alle auffälligen Merkmale der Landschaft zugedeckt und sie in eine glatte weiße Geometrie aus weichen Flächen und sanften Wellen verwandelt.
    So, wie es aussah, hatten sich innerhalb der vergangenen siebeneinhalb Stunden zwanzig bis fünfundzwanzig Zentimeter Schnee aufgetürmt. Inzwischen fielen die Flocken wesentlich schneller als vorher.
    Draußen stand immer noch Elvis. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt und versuchte mit herausgestreckter Zunge vergeblich, Schneeflocken aufzufangen. Als Geist war er natürlich nicht fähig, die Kälte zu spüren oder den Schnee zu schmecken. Dennoch freute mich etwas an der Mühe, die er sich gab … es machte mich aber auch traurig.
    Wie leidenschaftlich wir doch alles lieben, was nicht von Dauer sein kann: die funkelnde Kristallwelt des Winters, die Blüten des Frühlings, den zerbrechlichen Flug von Schmetterlingen, tiefrote Sonnenuntergänge, einen Kuss und das Leben.
    Am vergangenen Abend hatte der Wetterbericht im Fernsehen mindestens sechzig Zentimeter Niederschlag angekündigt. Ein Unwetter hier, hoch oben in den Bergen, konnte länger anhalten als weiter unten, äußerst heftig sein und zu noch größeren Schneehöhen führen als vorhergesagt.
    Vielleicht schon heute Nachmittag, ohne Zweifel jedoch bei Anbruch der frühen Winterdämmerung, würde die Abtei eingeschneit sein. Dann waren wir von allem abgeschnitten.

13
    Ich versuchte, Sherlock Holmes zu spielen, wie Bruder Knoche es von mir erhofft hatte, geriet jedoch durch meine deduktiven Schlussfolgerungen in ein Labyrinth aus Fakten und Vermutungen, das mich nur dahin zurückbrachte, wo ich angefangen hatte: zur Ratlosigkeit.
    Weil ich nicht besonders unterhaltsam bin, wenn ich den Philosophen spiele, ließ Elvis mich allein. Vielleicht war er in die Kirche gegangen, weil er hoffte, dass Bruder Fletcher eine Übungsstunde an der Orgel einlegte.
    Selbst im Tod ist er gern von Musik umgeben. Früher hat er sechs Platten mit Gospelsongs aufgenommen, außerdem drei Weihnachtsalben. Wahrscheinlich hätte er lieber zu etwas getanzt, was mehr Rhythmus hatte, aber in einem Kloster gibt es eben nicht viel Rock’n’Roll.
    Ein Poltergeist hätte »All Shook Up« aus den Orgelpfeifen dröhnen lassen oder auf dem Klavier im Empfangszimmer des Gästehauses »Hound Dog« hämmern können, so wie der tote Bruder Constantine die Kirchenglocken läuten ließ, wenn er in der Stimmung dazu war. Aber Poltergeister sind zornig; ihr Zorn ist die Quelle ihrer Kraft.
    Elvis könnte nie ein Poltergeist werden. Er ist eine liebenswürdige Erscheinung.
    Der Wintermorgen bewegte sich mit jedem Ticken der Uhr unaufhaltsam auf irgendeine nahende Katastrophe zu. Vor Kurzem
hatte ich bekanntlich erfahren, dass wirklich gescheite Leute den Tag in Einheiten unterteilten, die ein Millionstel eines Milliardstels des Milliardstels einer Sekunde betrugen. Dadurch kam mir jede ganze Sekunde, die ich vertrödelte, wie eine unerhörte Zeitverschwendung vor.
    Ich schlenderte aus dem Empfangszimmer durch die beiden Kreuzgänge und von dort aus in andere Flügel der Abtei. Dabei vertraute ich darauf, dass meine Intuition mich zu irgendeinem Hinweis auf den Ursprung der drohenden Gewalttat führte, von der die Bodachs angelockt worden waren.
    Nehmt es mir bitte nicht übel, aber meine Intuition ist besser als eure. Vielleicht habt ihr an einem sonnigen Tag mal euren Regenschirm zur Arbeit mitgenommen und ihn am Nachmittag tatsächlich gebraucht. Vielleicht habt ihr aus Gründen, die ihr nicht begriffen habt, die Annäherungsversuche eines scheinbar idealen Mannes zurückgewiesen und ihn Monate später in den Abendnachrichten gesehen, weil die Polizei ihn im Verdacht hatte, sexuelle Beziehungen mit seinem Haustier, einem Lama, zu pflegen. Vielleicht habt ihr bei der Auswahl der Lottozahlen das Datum eurer letzten proktologischen Untersuchung verwendet und einen Riesenbatzen Geld gewonnen. Egal, meine Intuition ist trotzdem wesentlich besser als eure.
    Der unheimlichste Aspekt meiner Intuition ist etwas, das ich als übersinnlichen Magnetismus bezeichne. Wenn ich in Pico Mundo jemanden finden musste, der nicht da war, wo ich ihn erwartete, behielt ich seinen Namen oder sein Gesicht im Sinn, während ich ziellos durch die Straßen fuhr. Normalerweise habe ich ihn innerhalb kurzer Zeit gefunden.
    Dieser Magnetismus ist nicht immer

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