Schattennetz
– liegt doch in der Natur der Sache. Aber sie hat sich bestimmt nicht um irgendwelche Querelen gekümmert.«
»Und ihr Mann – der Herr Gunzenhauser?«
Ein angedeutetes Lächeln huschte über das Gesicht der Dekanin. Sie schien zu ahnen, worauf Sander hinauswollte. »Herr Gunzenhauser hat ihr geholfen. Und das war gut so.«
Sie schwieg.
»Aber er war nicht immer dabei, wenns in der Kirche was zu tun gab?« Sander fragte behutsam weiter, um ja nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, er könne es auf eine Sensation abgesehen haben.
»Nein, er hat sporadisch mitgeholfen, wenn es was zu erledigen gab, das für seine Frau zu schwer war. Sie müssen wissen, Herr Gunzenhauser ist handwerklich sehr begabt und trotz seines Alters noch sehr geschickt.«
»Hm«, überlegte Sander. »Was ist er denn von Beruf?«
Sie schien für eine Sekunde zu überlegen, ob sie die Frage beantworten sollte, entschied sich dann aber doch dafür: »Er hat lange Zeit im Albwerk gearbeitet. Als Elektromeister.«
Sander kniff die Augen zusammen und wollte etwas sagen, doch die Dekanin ließ ihn nicht zu Wort kommen: »Ich weiß, was Sie jetzt denken. Fangen Sie mir aber bloß nicht an, irgendetwas in der Zeitung rumzuspekulieren.«
Die beiden Männer, die auf der A 13 in Richtung Berlin fuhren, kannten seit Stunden nur ein Thema: Mit welchen Folgen musste nach den Morden an Alexander Simbach und Rolf Czarnitz gerechnet werden? Anton Simbach, der hinterm Steuer saß, war die meiste Zeit auf der linken Spur gefahren und machte auch jetzt keine Anstalten, nach rechts einzuscheren, obwohl hinter ihm ein Porsche die Scheinwerfer aufblitzen ließ. »Arschloch«, kommentierte Simbach beim Blick in den Rückspiegel. Die Tachonadel zeigte auf 180 und rechts gab es keine ausreichende Lücke. Carsten Kissling auf dem Beifahrersitz interessierte dies nicht. Schon bei den jungen Pionieren, wie damals die Jugendgruppen hießen, hatte er gelernt, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Erst recht aber, als er an der innerdeutschen Grenze den Patrouillendienst versehen und mit dem Fernglas über den Todesstreifen hinweg ins Reich des Erzfeindes geblickt hatte. All dies, wofür er gelebt hatte, was einmal seine Ideale waren, durfte nun nichts mehr gelten. Es war verpönt, öffentlich darüber zu reden. Wenigstens taten es noch die Jungs in Hohenschönhausen, dachte er. Die ließen sich nicht so einfach kleinkriegen – von den Kapitalisten, die inzwischen alles an sich gerissen hatten. Oder von den Medien, die alle in die Hände mächtiger Verlagshäuser geraten waren. Alles hatte sich so zugetragen, wie man es ihnen in der Schule für den Fall einer kapitalistischen Herrschaft angedroht hatte. Ein Schreckensszenario. Und was hatten sie damals nicht alles getan, um diesen Imperialismus des Westens zu stoppen, vor allem aber zu unterwandern? Manchmal hatte er darüber gestaunt, wie einfach es doch gewesen war, die Geheimdienste der BRD zu foppen. Ihm kam die Zeit in Sonneberg in den Sinn. Plötzlich schien es ihm, als verselbstständigten sich seine Gedanken. Bilder tauchten auf, die er längst vergessen hatte. Sie verschwanden abrupt, als Anton Simbach rechts einscherte, um dem drängelnden Porsche Platz zu machen.
»Sie sind heut Abend alle da«, sagte Simbach plötzlich und drosselte das Tempo. »Vor allem müssen wir dann klären, wie das in Geislingen weitergeht.« Er sah seinen Beifahrer von der Seite an.
»Ich könnt mir durchaus eine Lösung vorstellen. Aber dann haben wir alle am Hals.«
Anton schwieg, bis beide vom Signalton des Handys aufgeschreckt wurden, das in der Freisprecheinrichtung steckte. »Ja«, meldete sich Simbach.
»Bin ich mit Herrn Simbach verbunden? Anton Simbach?«
»Bin ich, ja«, gab er zurück.
»Entschuldigen Sie die Störung«, erklärte der Anrufer. »Mein Name ist Häberle. Kriminalpolizei Göppingen.«
28
Häberle grinste, als er Linkohr beim Polizeirevier ablieferte. Der junge Kollege war Ohrenzeuge des Gesprächs geworden, das sein Chef soeben mit Anton Simbach geführt hatte. »Das Gesicht hätt ich gern gesehen. Egal, wo wir den erreicht haben, der hat ja beinah in die Hose gemacht.«
»Jetzt können wir mal gespannt sein, was sich tut. Ich bin mir absolut sicher, dass irgendjemand ziemlich Muffe kriegt.«
»Sie wollen wirklich rüber?«, zweifelte Linkohr und spielte damit auf Häberles Ankündigung an, die er so-eben gegenüber Simbach gemacht hatte.
»Warum denn nicht? Eine kleine Dienstreise
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