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Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Bernd sich ihr in den Weg, breitbeinig und grinsend, auch wenn die Maske einen Großteil seines Munds verdeckte.
    »Hi, Schnucki«, flüsterte er in einem Ton, der ihr extrem unheimlich vorkam. »Wie, sagtest du, war noch mal dein Name?«
    Sie war davon überzeugt, dass er ganz genau wusste, wie sie hieß. Aber sie antwortete ihm trotzdem. Dieser Dreckskerl wollte ein Spielchen spielen? Okay, dann spielen wir!
    »Winifred.«
    »Und?«, erkundigte er sich spöttisch. »Hast du noch Kontakt zu deinen Eltern?«
    Kontakt zu meinen Eltern?, schoss es Winnie Heller durch den Sinn. Wieso fragt er so etwas? Was weiß er über mich? Wie gut sind diese elenden Scheißkerle tatsächlich über uns und unseren familiären Hintergrund informiert?
    Dann allerdings wurde ihr klar, dass sie zu den wenigen gehörte, mit deren Anwesenheit in der Bank die Geiselnehmer unmöglich hatten rechnen können. Und ihr ging auf, dass Bernds Frage sich auf ihren Namen bezogen hatte.
    Nur auf ihren Namen ...
    »Sie meinen, dieser Name wäre ein guter Grund, mit seiner Familie zu brechen?«, fragte sie mit einem Lachen, das ihr selbst unecht vorkam.
    »Na klar«, grinste er. »Oder siehst du das anders?«
    Sie schüttelte den Kopf. Mitmachen. Spielen. Scherzen. Und auf keinen Fall die Nerven verlieren.
    »War’n das Nazis, deine Eltern, oder was?«
    »Nein«, entgegnete sie, »bloß Wagnerianer.«
    »Scheiße, das ist doch ein und dasselbe«, herrschte er sie an, und von einem Augenblick auf den anderen war alles Scherzhafte aus seiner Stimme verschwunden. Winnie Hellers Blicke glitten über seinen Körper, und sie fragte sich, wo er seine Waffe haben mochte. »Wenn ich mir all diese aufgetakelten Piss- Schlampen ansehe, die jedes Jahr durch Bayreuth flanieren und den guten alten Zeiten huldigen, kommt mir glatt das Kotzen.«
    Genau wie Alpha ist dieser Kerl ganz und gar nicht ungebildet, notierte Winnie Heller in Gedanken. Die Frage ist nur, warum er mir das verrät ...
    Laut sagte sie: »Hey, ob Sie’s glauben oder nicht, aber ich hab tatsächlich sogar schon mal daran gedacht, den Namen zu ändern. Bloß ist das in einem Land wie diesem ja leider alles andere als einfach. Und damals war ich noch’n Teenager, also ohne jeden Plan, verstehen Sie?«
    Sie sah zu Bernds jungem Komplizen hinüber, der im Schatten der hohen Mauern stand und augenscheinlich darauf wartete, sie an einen Ort zu führen, wo sie zur Toilette gehen konnte. Winnie Heller hatte den Eindruck, dass er das Geplänkel zwischen ihnen aufmerksam verfolgte, und sie rief sich ins Gedächtnis, dass eine der Grundregeln bei Geiselnahmen lautete, einen möglichst persönlichen Kontakt zu seinen Entführern aufzubauen. Sie wissen zu lassen, wer man war und wo man herkam.
    Ein Entführer tut sich schwerer, eine Geisel zu erschießen, die einen Namen und einen Hintergrund hat.
    »Na ja, ich bin also ganz naiv aufs Standesamt marschiert«, fuhr sie fort, »und da sagten sie mir dann, ich müsse nachweisen, dass ich einen schweren psychischen Schaden davontrage, falls ich weiterhin als Winifred durchs Leben gehen muss. Und, mal ganz ehrlich, da wusste ich echt nicht, wie ich das hätte anstellen sollen.« Sie lachte. »Ich meine, wie weist man einen Schaden nach, den man noch gar nicht hat? Also bin ich unverrichteter Dinge wieder abgezogen, und irgendwann, ohne dass ich’s gemerkt hätte, war ich dann so an den verdammten Namen gewöhnt, dass ich ...«
    Brutalo-Bernd trat einen Schritt auf sie zu. »Halt deine blöde Klappe und geh pissen, kapiert?!«, schrie er sie an, und das Ausmaß an Aggression in seiner Stimme verriet Winnie Heller, dass sie ihn mit irgendetwas, das sie gesagt oder getan hatte, ernsthaft verärgert haben musste.
     
     
     
    2
     
    Die Warterei zehrte an den Nerven.
    Seit sieben Uhr in der Frühe saßen sie nun im Wohnzimmer der Liesons. Irgendwann war Inger Lieson aufgestanden und hatte Kaffee gemacht. Zwei Kannen, die beide bereits zum zweiten Mal wieder aufgefüllt waren.
    An Frühstück dachte niemand.
    Verhoevens Blick glitt über Inger Liesons sichtlich angespanntes Gesicht. Die Bankiersgattin war an diesem Morgen noch bleicher als bei ihrer ersten Begegnung am Vorabend. Dennoch fand Verhoeven, dass sie hübsch war. Jung und attraktiv. Und irgendwie ... Er suchte eine Weile nach einem Wort, das umschrieb, was er empfand. Ja, dachte er schließlich, diese Frau sieht bei nahe unwirklich aus. Ihr heller Teint war auf fast ätherische Weise durchscheinend, und

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