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Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Quadratmeter, in denen sie ausharrten. Schweigend und zunehmend lethargisch.
    Winnie Heller blickte zu Jenna hinüber, die total übernächtigt aussah. Das Weiß ihrer Augen wirkte blutig vor Müdigkeit. Wahrscheinlich hatte sie die ganze Nacht wach gelegen und auf die Rückkehr der Ratten gewartet. Doch die Tiere schienen verstanden zu haben, dass für sie hier unten nicht viel zu holen war. Sie hatten sich nicht mehr blicken lassen.
    Als sie das Knirschen von Schotter wahrnahm, blickte Winnie Heller auf. Brutalo-Bernd und sein junger Komplize tauchten über dem Rand der Grube auf, und Bernd kündigte den ersten Toilettengang an.
    »Wer muss, hebt die Hand«, brüllte er in Militär-Manier zu ihnen hinunter, woraufhin fünf Arme in die Luft schnellten.
    Lediglich Jenna zögerte. Vielleicht, weil sie sich davor fürchtete, mit einem der beiden Entführer allein zu sein. Und genau darauf lief die Sache hinaus, wie sich wenig später herausstellte. Jeweils einer von ihnen stieg die rostige Eisentreppe hinauf, wo er von dem jüngsten der Geiselnehmer in Empfang genommen und irgendwohin geführt wurde. Die anderen warteten unter Brutalo-Bernds Röntgenblick darauf, dass der Betreffende zurückkehrte. Hin und wieder hörten die Zurückgebliebenen, wie der Junge die jeweilige Geisel zur Eile mahnte. Doch zwischen diesen spotlightartigen Einwürfen blieb es geradezu unheimlich still. So als ob sie hermetisch von der Welt abgeschlossen wären.
    Winnie Heller wartete voller Spannung darauf, dass die Reihe an sie kam, und am liebsten wäre sie von vornherein als Erste gegangen. Doch die Reihenfolge bestimmte Bernd höchstpersönlich.
    Und der ließ sie warten ...
    Gerade kehrte Quentin Jahn über die Treppe zurück. Er blickte kurz zu ihr herüber, und sie glaubte etwas wie Enttäuschung in seinen Augen zu lesen. Zugleich bedeutete er ihr mit einem resignierten Schulterzucken, dass sein kurzer Ausflug in die Welt oberhalb der Grube wenig aufschlussreich gewesen war.
    Winnie Heller schenkte ihm ein einvernehmliches Nicken. Dann sah sie wieder zu Bernd hinauf, dessen Schatten wie eine stumme Warnung auf die hintere Grubenwand fiel. Inzwischen waren nur noch Evelyn, Jenna und sie selbst übrig, und ganz allmählich wurde Winnie nun doch ein wenig mulmig zumute. Ließ dieser Bernd sie am Ende absichtlich bis ganz zum Schluss warten?
    Aber wozu?
    Um ihr etwas anzutun?
    Er hat mich gesehen, gestern, hämmerte es in ihrem Kopf. Er muss mich gesehen haben. Und jetzt hat er etwas vor. Etwas, das ganz bestimmt nichts Gutes verheißt.
    Im selben Moment richtete sich Bernds ausgestreckter Zeigefinger auf Evelyn Gorlow.
    Die dicke Krankenschwester hatte alle Mühe, die wackligen Stufen hinaufzukommen, und als ihm die Sache zu lange dauerte, ging der Entführer ihr kurzerhand ein Stück entgegen und packte sie mit roher Gewalt beim Arm.
    »Jetzt mach schon, du fette Schlampe«, schrie er ihr ins Gesicht, indem er Evelyn Gorlow kurzerhand hinter sich herzerrte, bis sie beide im Schatten hinter dem Rand verschwunden waren.
    Die Zurückgebliebenen hörten einen dumpfen Knall, als die korpulente Krankenschwester irgendwo außerhalb ihres Blickfeldes stürzte. Dann ertönte ein Schuss, gefolgt von einem entsetzten Quieken. Ein hoher, hilflos anmutender Laut, der Winnie Heller abermals an neugeborene Ferkel denken ließ.
    Immerhin ist sie noch am Leben, versuchte sie sich mit der unleugbaren Tatsache, die aus dem Geräusch folgte, zu trösten. Er hat sie nicht erschossen.
    Noch nicht ...
    Ihr Blick suchte den Grubenrand, doch Bernd ließ sich dieses Mal nicht blicken.
    »Oh, nein, da gehe ich nicht hoch«, flüsterte eine totenbleiche Jenna neben ihr. »Und schon gar nicht allein.« Ihre nichtssagenden blauen Püppchenaugen saugten sich flehentlich an Winnie Hellers Gesicht fest. »Denken Sie, dass wir ... Ich meine, vielleicht könnten wir ja zusammen gehen?«
    »Nein«, erwiderte Winnie knapp, während sie im Stillen ein Stoßgebet nach dem anderen gen Himmel schickte, dass dieser Kelch an ihr vorübergehen möge. Immerhin hatte sie Pläne da oben. Pläne, die sie in Begleitung dieser elenden Heulsuse glatt vergessen konnte ...
    Ein lautes Poltern am oberen Grubenrand kündigte Evelyns Rückkehr an.
    Vor dem Toilettengang hatte die korpulente Krankenschwester ihren Parka ausgezogen, und die Zurückgebliebenen konnten ihre Massen unter der orangefarbenen Bluse wabern sehen, als sie – dieses Mal erstaunlich flink – die rostigen Stufen

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