Schattenriss
Profilerin ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
»Wenn es irgendwie möglich ist, würde ich dafür plädieren, als Erstes Jussuf Mousa da rauszuholen«, sagte sie.
»Weil er krank ist?«
»Weil eine Geisel mit kritischem Gesundheitszustand für die Entführer Stress bedeutet«, entgegnete die Psychologin. »Und weil jeder Stress die Gefahr erhöht, dass einer von ihnen durchdreht.«
»Also erzähl mir was über die Leute, die sie in ihrer Gewalt haben«, drängte Goldstein, indem er die Fotos der Entführten aus seiner Akte kramte und vor sich auf dem Tisch ausbreitete.
Verhoeven sah, wie Inger Lieson erschrocken den Blick abwandte. Warum muss sie hier bei uns sitzen?, dachte er. Warum erspart man ihr das nicht? Sie könnte doch genauso gut in einem Nebenraum warten.
»Jenna Gerckes Leben ist bei weitem nicht so glatt, wie es auf den ersten Blick erscheint«, kam Monika Zierau Goldsteins Aufforderung ohne Zögern nach. »Sie war 2004 wegen schwerer psychischer Probleme in einer Klinik. Darüber hinaus behaupten ihre Kolleginnen, dass sie nach wie vor unter Essstörungen und Panikattacken leide.«
»Also labil«, schloss Goldstein. »Na super.«
So redet die Polizei also über Menschen, die sich in der Gewalt brutaler Gangster befinden , sagte Inger Liesons Blick.
»Hin und wieder macht sie am Telefon ihren Freund runter. Und zwar richtig runter, wenn man den Erzählungen ihrer Kollegen glauben darf.« Monika Zieraus Kohlenaugen glitten über das Blatt mit ihren Notizen. »Manuel Holst hat irgendwann mal Konditor gelernt, ist aber derzeit ohne feste Beschäftigung. Er hat eine Zeitlang als Croupier gearbeitet, bevor ihn die Bekanntschaft mit mehr oder minder betuchten Spielern auf die glorreiche Idee gebracht hat, sich als Eventkoch selbständig zu machen. Seine Firma machte in einem einzigen Jahr 16 000 Euro Verlust. Frag mich nicht, wie man so was hinkriegt als Koch«, fügte sie hinzu, als sie sah, dass Richard Goldstein eine entsprechende Bemerkung auf der Zunge lag. »Aber auf den Schulden sitzt er noch immer, weshalb er auch relativ wenig Motivation zeigt, für 1200 Euro netto acht bis zehn Stunden täglich zu malochen.«
Hinnrichs verzog das Gesicht. In seinen stahlblauen Augen lag die Geringschätzung eines Mannes, der viel und gern arbeitete und exakt denselben Eifer auch von anderen erwartete.
»Oh, nein, da lässt sich Herr Holst lieber von seiner Freundin freihalten«, fuhr Monika Zierau achselzuckend fort. »Und Jenna Gercke ist so von Verlustängsten geplagt, dass sie ihrem Schatz alles finanziert. Von zwei Urlauben pro Jahr bis hin zu einer schicken Honda.«
»Sieht der Kerl wenigstens gut aus?«, fragte Goldstein mit einem müden Lächeln.
Hinter ihm warf Kai-Uwe Luttmann einen Blick auf seinen Monitor, als müsse er sich diesbezüglich erst noch ein abschließendes Urteil bilden. »Verdammt gut sogar, würde ich sagen.«
Der Unterhändler nickte. »Überprüft ihn. Wenn er tatsächlich in Geldverlegenheiten steckt, könnte er auf die Idee gekommen sein, das Insiderwissen seiner Freundin für eigene Zwecke auszunutzen. Oder die beiden machen gemeinsame Sache.« Er nippte an dem Kaffee, den Inger Lieson ihm nachgeschenkt hatte. »Was ist mit der zweiten Frau?«
Monika Zierau schmunzelte. »Evelyn Gorlow? Na ja, die ist ein
gänzlich anderes Kaliber, um es mal vorsichtig auszudrücken.« Diese letzte Bemerkung veranlasste selbst den notorisch desinteressiert dreinblickenden Büttner dazu, den Kopf zu heben. »Sie stammt ursprünglich aus Wolmirstedt ...«
»Wo, um Gottes willen, liegt das denn?«, fragte Goldstein, der bei allem Engagement ein wenig abwesend wirkte.
»In den neuen Bundesländern«, antwortete Monika Zierau. »Genauer gesagt nördlich von Magdeburg.«
Der Unterhändler nickte. »Okay, das sagt mir was.«
»Drei Jahre nach der Wende kam Frau Gorlow in den Westen. Was genau sie zu diesem Schritt veranlasst hat, konnte ich noch nicht in Erfahrung bringen.« Sie hielt inne, doch Goldstein bedeutete ihr mit einer ungeduldigen Geste, weiterzumachen. »Frau Gorlow hat eine Brustkrebserkrankung überstanden, aber durch das Entfernen der Lymphknoten leidet sie unter schweren Ödemen im linken Arm, weshalb sie immer wieder krankgeschrieben war und schließlich zur Erleichterung ihres Arbeitgebers verrentet wurde.«
»Und sie lebt allein?«, fragte Goldstein, indem er die Kurzinformationen in seinem Dossier bemühte.
Seine Profilerin verzog ihre dünnen Lippen zu einem
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