Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
Vom Netzwerk:
Einkaufsroller, und ihre Stimme kiekste vor Angst.
    »Bleiben Sie ruhig.«
    Quentin Jahn.
    »Ist jemand verletzt?«
    Abermals Quentin, im selben ruhigen Tonfall wie zuvor in der Bank.
    »Ich kann meine Beine nicht fühlen«, wimmerte die Dicke, während um sie herum zögerliche Verneinungen laut wurden. Fast schien es, als müssten sich die Anwesenden erst mühsam darüber klar werden, ob ihre Körper nach den Strapazen des Transports tatsächlich noch unversehrt waren.
    »Bewahren Sie Ruhe«, wiederholte der Mann, der sich den Geiselnehmern als Quentin Jahn vorgestellt hatte. Dann: »Haben Sie den Alarm ausgelöst?«
    Das ist eine verdammt gute Frage, dachte Winnie Heller. Doch sehr zu ihrem Leidwesen blieb sie zunächst unbeantwortet.
    »Ich ha...«, setzte eine brüchige Frauenstimme an. Vermutlich die Blondine im grauen Businesskostüm.
    »Halt den Mund, Jenna.« Das war die Brünette. Und der Ton, den sie anschlug, war ebenso schneidend wie unmissverständlich.
    Interessant, dachte Winnie Heller, während sie sich fragte, aus welchem Grund die athletische Kassiererin die Antwort ihrer Kollegin so entschieden unterbunden haben mochte. Fürchtete sie, dass die Entführer sie belauschten? Wollte sie verhindern, dass die Männer sicher sein konnten, was ihr Davonkommen anging?
    Aber wir sind hier, widersprach Winnie Heller sich selbst, wo immer »hier« auch sein mag. Die Flucht ist gelungen. Und damit steht es unzweifelbar eins zu null für diese Kerle!
    Die mannigfachen Regungen im Inneren des Vans verstummten abrupt, als draußen auf der anderen Seite des Blechs Schritte laut wurden. Ein paar Wimpernschläge später wurde die Schiebetür aufgerissen.
    »Nach hinten, alle!«, befahl eine Stimme.
    Und eine andere schrie: »Ihr seid tot.«
    Für den Bruchteil einer Sekunde konnte Winnie Heller ihre Silhouetten sehen, die gestochen scharf vor dem frühabendlichen Märzhimmel standen.
    Dann verglomm das Bild in einem Meer aus Licht.
     
     
     

6
     
    »Verhoeven?«
    »Ja.« »
    Wo sind Sie gerade?«
    »Vor fünf Minuten nach Hause gekommen. Wieso?«
    Burkhard Hinnrichs, der Leiter des Kommissariats 11 der zentralen Kriminaldirektion Wiesbaden, räusperte sich. »Wie schnell können Sie in Nordost sein?«, fragte er anstelle einer Antwort.
    Verhoeven riss den Blick von seiner spielenden Tochter los und sah auf seine Armbanduhr, ein Hochzeitsgeschenk seines langjährigen Partners Karl Grovius, der vor rund anderthalb Jahren an einem Schlaganfall gestorben war. Die Uhr besaß einen kleinen eingebauten Kompass, der ihn Tag für Tag daran erinnerte, wie wichtig es war, Orientierungspunkte zu haben. Feste Größen, nach denen man sich richten konnte.
    Sucht den Herd in der Toilette.
    Die Toilette im Schrank ...
    »Keine Ahnung«, sagte er. »In etwa zehn bis fünfzehn Minuten, schätze ich, wenn ich gleich losfahre und der Feierabendverkehr mir keinen Strich durch die Rechnung macht.«
    Hinnrichs stieß einen Laut aus, den Verhoeven zunächst nicht einordnen konnte. »Gut, kommen Sie, so schnell Sie können«, sagte er. Und als ob das irgendetwas erkläre, fügte er hinzu: »Diese ganze verdammte Stadt versinkt im Chaos.« Dann brach er ab und murmelte etwas, das anscheinend an jemanden gerichtet war, der sich mit ihm im selben Raum befand.
    Verhoeven runzelte die Stirn. Sein Vorgesetzter war ganz und gar nicht der Typ, der Scherze machte, erst recht nicht, wenn er dazu eigens einen seiner Untergebenen zu Hause anrufen musste. Das wiederum konnte nur bedeuten, dass etwas geschehen war. Etwas, das ganz offenbar ein gewisses Ausmaß hatte.
    Diese ganze verdammte Stadt versinkt im Chaos ...
    Er überlegte eben, ob er ins Wohnzimmer hinübergehen und den Fernseher einschalten sollte, als Hinnrichs sich zurückmeldete: »Also schön, ich versuche es der Reihe nach«, seufzte er. »Wir haben einen Raubüberfall mit Geiselnahme auf die Sparkassenfiliale in der Hohenzollernstraße. Kennen Sie die?«
    »Nicht bewusst«, entgegnete Verhoeven. »Aber ...« Er unterbrach sich und nahm das Handy ans andere Ohr. Geiselnahmen und Raubüberfälle waren Delikte, die definitiv nicht in seinen Aufgabenbereich fielen. Ebenso wenig wie in Hinnrichs’. Aber was hieß das? Worum ging es hier?
    »Leider haben wir allen Grund zu der Annahme, dass sich Frau Heller unter den Geiseln befindet«, beantwortete sein Vorgesetzter seine unausgesprochenen Fragen, kaum dass seine Gedanken sie formuliert hatten.
    Verhoeven riss die Augen auf.

Weitere Kostenlose Bücher