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Schattenschmerz

Schattenschmerz

Titel: Schattenschmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Gerdts
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Hasso von Germershausen vorbei. Längst hatte er jegliches Zeitgefühl verloren. Er wusste nicht, wie viele Stunden er jetzt schon gefesselt an Sessel und Treppe gezwungen wurde, die schrecklichen Videoausschnitte zu sehen und zu hören. Er hatte Durst. Quälenden Durst. Seine Lippen waren aufgesprungen. Er wollte trinken und diesen Bildern entkommen.
    Hasso von Germershausen kniff die Augen zusammen. Was hätte er dafür gegeben, seine Ohren zuhalten zu können.
    Schon wieder blökten die grässlichen Schafe, hupten die Autos. Gleich würde dieser Knall wieder alles zerreißen.
    Ein feiner Schweißfilm legte sich über seine Stirn. «Zeig dich, du Feigling!»
    Soweit es seine gefesselten Hände erlaubten, drückte sich Hasso von Germershausen nach hinten in den Sessel. Seine Handgelenke schmerzten, aber immerhin schaffte er es, bis zum Treppenabsatz der oberen Etage zu gucken. Doch dort stand niemand. Inzwischen war sich Hasso von Germershausen nicht mehr sicher, ob er sich das Knarren der Stufen und die Schuhe auf der Treppe nicht nur eingebildet hatte. Vielleicht war er doch ganz alleine hier?
    ‹Was, wenn das nie mehr aufhört?›
    Der Gedanke schnürte ihm den Hals zu. Er leckte sich mit der Zunge über die gespannten Lippen. Er hatte das dringende Bedürfnis, sich zwischen den Beinen zu kratzen. Da war sie plötzlich wieder, die Stimme des Amerikaners, der in breitem Texanisch «My god, oh my god» stammelte.
    «Ich will hier raus!» Seine Stimme hatte alles Herrische verloren. «Bitte, lass mich hier raus!»
    Schwer atmend, die Augen geschlossen, sackte Hasso von Germershausen im Sessel zusammen.
    Plötzlich wurde es still um ihn herum. Der Film war aus.
    Er blinzelte betäubt. Das Erste, was er sah, war ein Glas Wasser direkt vor seinem Gesicht. Erschrocken zuckte er zusammen.
    «Sie haben sicher Durst.» Eine Frau mit halblangen, grauen Haaren stand vor ihm. Sie trug einen labbrigen, farblosen Pullover über ihren Jeans.
    Gierig trank Hasso von Germershausen aus dem hingehaltenen Glas. Erst, als er es fast geleert hatte, kam ihm der Verdacht, dass das Wasser vergiftet sein könnte.
    «Was war dadrin?»
    «Wasser. Was sonst?» Dann sagte sie bedauernd, als wolle sie sich bei einem Gast für den schlechten Service entschuldigen: «Das Feuer ist ausgegangen.»
    Die Frau öffnete die Eingangstür und ging hinaus. Unruhig schaute Hasso von Germershausen ihr hinterher. Er kämpfte gegen den Impuls an, sie zurückzurufen. Kalte Nachtluft strich über seine nackten Beine.
    Ein paar Minuten später kam sie mit einem Armvoll Feuerholz zurück in die Hütte. Mit erstaunlicher Behändigkeit gab sie der Tür mit ihrem rechten Fuß einen Tritt, sodass sie zurück ins Schloss fiel.
    «Gleich wird es wieder warm.»
    Ihre Stimme klang fürsorglich. Dennoch war Hasso von Germershausen so angespannt, dass er seinen eigenen Pulsschlag zu hören meinte. Es war absurd. Nichts passte zusammen. Der mütterliche Ton seiner Gefängniswärterin, die Handschellen an seinen wunden Gelenken. Und warum hatten seine Entführer ausgerechnet eine ältere Frau als Aufpasserin gewählt?
    «Was wollt ihr von mir?»
    Die Frau zündete eine zusammengeknüllte Zeitung im Ofen an und legte ein paar dünne Holzstücke über die Flammen. Ohne sich abstützen zu müssen, kam sie wieder aus der Hocke hoch.
    «Ihr?» Sie lachte kehlig und riss an ihren Haaren. Unter der Perücke, die sie achtlos in eine Ecke warf, kamen ein paar dichte Haarsträhnen hervor, die ihn an Mahagoniholz erinnerten. Unsicher sah er die fremde Frau an. «Wer sind Sie?»
    «Ich glaube kaum, dass dich das interessiert», erwiderte Maren Krohn abfällig.
    Beklommen registrierte er, dass die Unbekannte ihn duzte. Niemand, außer ein paar wenigen Geschäftsfreunden und natürlich seiner Frau, hatte je gewagt, diese unsichtbare Grenze zu überschreiten. Schlagartig wurde ihm klar, dass sie sich seiner völlig sicher war. Wo immer ihn die Fremde auch hingebracht hatte, niemand würde seine Rufe hören. Die Frau ließ sogar die Tür auf, als sie nach draußen ging, um Holz zu holen. Sie war hier der Boss. Sein weiteres Schicksal lag in ihrer Hand.
    «Was wollen Sie? Mein Geld?»
    Sie verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Da sie im Schatten des Feuers stand, konnte Hasso von Germershausen ihre Gesichtszüge nur schemenhaft erkennen.
    «Dein Geld …», sagte sie, und es klang, als würde sie jede Silbe ausspucken. Ihre Augen verengten sich.
    Ein Schauer jagte Hasso von Germershausen

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