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Schattenschmerz

Schattenschmerz

Titel: Schattenschmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Gerdts
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Attentäter und ahnen nicht, dass sie es selbst sind. Es gibt kein Grau, nur Schwarz oder Weiß. Nur begreifen oder wegschauen, nur dagegen ankämpfen oder gleichgültig geschehen lassen. Nur schuldig oder unschuldig.
    Ich weiß, ich sollte es nicht tun. Aber ich muss dir schreiben. Du verstehst mich.
     
    Die letzten Wochen habe ich wenig geschlafen. Dabei bin ich jeden Tag vor und nach der Arbeit laufen gegangen. So lange, bis meine Muskeln schmerzten und mein Atem mir nicht mehr gehorchte. Früher erschien mir die 20-Kilometer-Distanz als Endpunkt meines sportlichen Ehrgeizes. Heute laufe ich manchmal 100 Kilometer in der Woche. Erschöpft falle ich abends ins Bett und schlafe zwei, drei Stunden. Aber es gibt kein Entrinnen. Es ist immer da. Du bist immer da.
    Ich habe alles auf einem USB -Stick gespeichert. Ich trage ihn in der Hosentasche immer bei mir. Auch jetzt, wo ich dir schreibe. Manchmal stehe ich nachts auf und schaue mir auf dem Computer die Bilder an.
    Ich weiß, du würdest es nicht wollen, aber ich gönne mir ab und an ein, zwei Gläser Wein. Vielleicht sind es auch ein paar mehr. Sie helfen mir, mich ein wenig zu entspannen und klar zu denken. Vor allem: an das Wichtige zu denken. Und ich weiß jetzt, die Menschen begreifen nichts, wenn sie es nicht selbst fühlen. Vor allem ändern sie ihr bequemes Leben nicht freiwillig. So ist der Mensch. Ich kenne ihn in all seinen Facetten. Mir erzählt man nichts.

[zur Inhaltsübersicht]
    10
    Hendrik Mertens griff zum Hörer und gab die Nummer des Kriminaldauerdienstes ein. Doch kaum hatte er die letzte Zahl gewählt, legte der Chef der Bremer
npa
-Zentrale wieder auf. Er durfte nichts überstürzen. Dieses Schreiben war der Hammer. Eine Nachricht, die in ganz Deutschland für Aufsehen sorgen würde. Und vermutlich auch über die Landesgrenzen hinaus. Die
norddeutsche presse-agentur
würde überall genannt werden. Selbst bei der Konkurrenz. Keiner würde um diese Meldung herumkommen.
    Er goss sich eine Tasse Kaffee ein. Die Porzellankanne tropfte, aber er bemerkte die braunen Flecken auf seinem Schreibtisch nicht. Der kräftig gebaute Mann ließ sich schwer in seinen Schreibtischstuhl fallen. Er könnte bei der npa-Zentrale in Hamburg nachfragen, was in so einem Fall zu tun sei. Aber womöglich legten sie ihm das als Entscheidungsschwäche aus.
    ‹Wer viel fragt, bekommt viele Antworten›, dachte Hendrik Mertens. Die Hamburger würden abwägen, diskutieren, und in der Zwischenzeit würden ihm andere die Nachricht wegschnappen. Denn vermutlich war der Brief noch an weitere Medien gegangen. Und es wäre nicht das erste Mal, dass sich sein Arbeitgeber diskret zurückhielt und anderen in der Presselandschaft den Vortritt ließ, während sie nur wieder brav die Polizei oder das Bundeskriminalamt benachrichtigten.
    Das Telefon klingelte, aber Hendrik Mertens ignorierte es.
    ‹Ich muss eine Entscheidung treffen›, dachte er unruhig. ‹So oder so.› Lange durfte er nicht mehr zögern. Mit jeder Minute, die verrann, würde er entweder der Konkurrenz oder dem Attentäter in die Hand spielen. Einem spontanen Einfall folgend, ging Mertens zu seinem Computer und klickte gespannt die Online-Portale der großen Wochenzeitungen, des
Weser-Kuriers
sowie einiger Boulevardblätter an.
    Nichts.
    Die aktuellen Schlagzeilen wurden von Insidergeschäften korrupter Manager bestimmt, einem Familiendrama in Hessen sowie einem schweren Unfall mit drei Toten auf der A27. Das mysteriöse «Park-Attentat» in Bremen zwei Tage zuvor war einen Moment lang an den Rand der sich stets neu erfindenden Nachrichtenwelt gedrängt worden. Hatten andere Chefredakteure womöglich dieselben Skrupel wie er, oder wussten sie noch nichts von dem Schreiben?
    Er verwarf den Gedanken sofort wieder. Die Mitarbeiter eines Boulevardblattes würden vermutlich keine Sekunde zögern, die Nachricht zu verbreiten. Und recht hatten sie. Sie waren Journalisten. Alle miteinander. Es war ihre Aufgabe, die Öffentlichkeit zu informieren, und nicht, Nachrichten zu unterdrücken.
    Mertens nippte an seinem lauwarmen Kaffee, verzog das Gesicht und goss den Inhalt in einen großen Blumentopf, in dem ein blasser, japanischer Bambus um sein Überleben kämpfte.
    Draußen lief ein Verrückter rum. Einer, der auf perfide Weise Menschen tötete und angekündigt hatte, weitermachen zu wollen, falls man seinen Forderungen nicht nachkommen würde.
    Erneut las Hendrik Mertens das Schreiben, dessen Worte aufwendig aus

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