Schattenstürmer
Urbilder anderer Welten. Wenn ein Mensch über die Schatten gebieten kann, wenn ein Mensch mit ihnen tanzen kann, dann vermag er jeden Schatten der Welt des Chaos zu nehmen und daraus eine neue Welt zu schaffen. Seine eigene Welt. Zumindest kann er es versuchen, denn am Ende gelingt es nicht jedem. Einer, vielleicht zwei von einer Million schaffen es. Früher waren es jedenfalls mehr als heute. Und diese Menschen, die imstande sind, aus Schatten Welten zu schaffen, nennt man Schattentänzer.«
Ich erschauderte. »Willst du etwa behaupten, ich könnte mir irgendeinen Schatten nehmen und daraus eine ganze Welt formen, die nicht schlechter ist als Siala?«
»Ob du es willst oder nicht, Garrett, aber du bist ein Schattentänzer, diesem Schicksal entkommst du nicht. Aber nein, ich will nicht behaupten, dass du aus irgendeinem Schatten eine Welt formen kannst. Denn das ist, wie gesagt, nur mit den Schatten aus der Welt des Chaos möglich. Die Schatten unserer Welt sind nur die Schatten von den Schatten der Schatten der Urwelt. Sie sind tot und können nicht tanzen.«
»Aber wenn ich in die Welt des Chaos käme, dann würde es mir gelingen?«
»Woher soll ich das wissen? Das ist doch nur ein Märchen, außerdem kannst du nicht zwischen den Welten umherwandern.«
»Sagoth sei Dank dafür!«, seufzte ich erleichtert. »Aber bitte, spinn deine Lügen doch weiter!«
»Wo war ich denn stehen geblieben? Ach ja! Also, die Schattentänzer nahmen die Schatten und schufen daraus neue Welten. Abertausende neuer Welten entstanden auf diese Weise. Um neue Welten zu schaffen, brauchten sie jedoch einen kleinen Teil ihrer eigenen Welt, und so starb allmählich die Welt des Chaos. In ihr verblieben keine Schatten mehr, das Dunkel und das Urfeuer hielten Einzug. Die Menschen verließen diese Welt, zogen in andere, und der Weg in die Urwelt geriet langsam in Vergessenheit. Keiner der Schattentänzer dieser Zeit versuchte, die Welt des Chaos zu retten, obwohl es ein Leichtes gewesen wäre. Warum hätten sie den alten Plunder auch erhalten sollen, wenn es um sie herum so viel Neues gab?«
»Was hast du, Garrett?«, unterbrach Miralissa den Kobold.
»Ich frage mich gerade, welcher Spaßvogel wohl unsere Welt geschaffen hat. Du behauptest also, das Chaos könne nicht wiederhergestellt werden, Kli-Kli?«
»Richtig. Der Weg in diese Welt ist vergessen. Aber selbst wenn man wüsste, wie man dorthin gelangt, bräuchte man ja einen Schatten der Urwelt, um ihr neues Leben einzuhauchen.«
Ich erinnerte mich an die drei Schattenfreundinnnen, die auf den purpurroten Flammenzungen getanzt und mich gebeten hatten, ihre Welt zu retten. In meinem Bauch zog sich alles zusammen. Sollte das Märchen des Narren doch ein Körnchen Wahrheit enthalten?
»Warum erzählst du mir das alles? Ich schlafe doch ohnehin schon schlecht! Und was hat das Haus der Kraft überhaupt mit alldem zu tun?«
»Ich habe dir die Vorgeschichte erzählt. Über diese Häuser weiß ich selbst auch nicht viel. Mein Großpapa hat mir gesagt, dass es Vier Große Häuser gibt, die vermutlich jener Schattentänzer gegründet hat, der auch unsere Welt schuf. Aber was diese vier Häuser sollen, das weiß niemand. In den Koboldbüchern gibt es keinen Hinweis darauf.«
»Dafür findet sich in den Annalen der Krone etwas über sie«, mischte sich Miralissa erneut ins Gespräch. »Auf den ersten Seiten der Chronik erwähnt ein kurzer Absatz diese Häuser. Die vier Häuser hätten unterschiedlicher nicht sein können. Das Haus der Liebe, das Haus des Schmerzes, das Haus der Furcht und schließlich noch das wichtigste Haus: das Haus der Kraft. Angeblich erhalten diejenigen, die in diesen Häusern waren, Unsterblichkeit. Man kann sie töten, doch früher oder später werden sie im Haus der Liebe wiedergeboren. Und wer in allen Vier Großen Häusern gewesen ist, stirbt nur dann endgültig, wenn er auch in einem dieser Häuser getötet wird.«
»Wurden sie vielleicht deswegen überhaupt geschaffen?«
»Ja. Das heißt, nein. Genau wissen wir es nicht, wir können nur mutmaßen. Dieser Absatz, der von wer weiß wem geschrieben wurde, ruft schon seit Jahrtausenden Streit unter unseren Geschichtsschreibern hervor. Ganze wissenschaftliche Abhandlungen sind bereits dazu verfasst worden. Dennoch wissen wir bislang nicht mehr, als dass derjenige, der durch alle Vier Großen Häuser geht, nicht länger nur ein Mensch, Elf oder Zwerg ist, sondern zu etwas völlig anderem wird. Ich habe keine Ahnung,
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