Schattentänzer
ist jetzt schon das zweite Mal, Winger. Selbst netten Burschen geht mal die Geduld aus. Also laß es bleiben.« Ich ließ sie los und marschierte davon.
Diesmal hörte sie auf meine Botschaft.
21. Kapitel
Ich hätte Dean fast in die Wüste geschickt, als er mich am nächsten Morgen für meinen Morgenlauf weckte. Er ist gewiefter als eine Mutter, was das Durchschauen von Ausreden angeht. »Sie haben es angefangen, jetzt halten Sie es auch durch«, erklärte er. »Wenn Sie schon laufen wollen, dann tun Sie es gefälligst regelmäßig.«
Ich knurrte und meckerte mißmutig. Verpiß dich und laß mich in Ruhe mit diesem blöden Sport. Das oder etwas Ähnliches empfahl ich ihm und wehrte mich mannhaft, bis er mit einem Kübel Eiswasser ankam. Da gab ich auf. Er wäre glatt fähig, es mir über den Schädel zu gießen, der penetrante Mistkerl. So wichtig war es mir denn doch nicht, im Bett zu bleiben.
Carla Lindo heizte schon die Küche auf, als ich hereinstolperte. Ich knurrte eine Begrüßung.
»Ist er immer so sonnig am frühen Morgen?«
»Heute ist er ausgesprochen gut gelaunt«, verriet ihr Dean. Danke, alter Knabe. Er stellte einen Becher Tee mit Honig auf meinen Platz am Tisch. Auf dem Ofen briet Schinken, und der Duft gebackener Brötchen drang aus dem Backrost. Der Geruch war einfach himmlisch. Vermutlich war Dean gar nicht nach Hause gegangen. Es wäre auch nicht sehr sinnvoll gewesen, weil ohnehin nicht viel Zeit zum Schlafen geblieben war.
Seine Nichten hatten sich schon lange daran gewöhnt. Sie wußten bestimmt schon, daß ich in irgendeine Sache verwickelt war. Sie würden wie immer die Gelegenheit nutzen, kommen, kochen, backen, mir schöne Augen machen und mir mit ihrer Häßlichkeit den Tag versauen …
Ich schlürfte meinen Tee und starrte vor mich hin. In meinem Kopf herrschte Leere. Carla Lindo starrte mich an, sagte aber nichts. Sie hatte die Stirn gerunzelt, was ihr ein mädchenhaftes Aussehen verlieh. Vielleicht war ihr Selbstbewußtsein doch angekratzt.
Wer zu dem Schluß kommt, daß die Morgenstunde nicht meine bevorzugte Tageszeit ist, liegt richtig. Ich warte nur darauf, daß irgend so ein Genie eine Möglichkeit erfindet, wie man ohne sie auskommt. Die traurige Wahrheit ist, daß der Morgen einfach zu oft die Stimmung für den Rest des Tages festlegt.
»Wie geht es Ihnen heute morgen?« wagte sich Carla Lindo schließlich vor.
»Schwarz und traurig. Meine Wunden brechen wieder auf.« Beim Ankleiden hatte ich mich begutachtet. Ich hatte schon Leichen gesehen, die in besserer Verfassung gewesen waren als ich.
Dean nahm die Brötchen heraus und stellte das Backblech auf einem Dreifuß auf den Tisch. »Sie sollten sich vielleicht überlegen, mit Ihro Ehrwürden ein Abkommen zu schließen. Vielleicht läuft er ja, während Sie nach Herzenslust faulenzen.«
Immer nutzt er die Morgen gegen mich aus, weil er genau weiß, daß mein Hirn noch nicht arbeitet. Mein einziges Gegenmittel ist die Drohung, ihn dem Arbeitsmarkt zum Fraß vorzuwerfen. Allerdings ist das eine ziemlich leere Drohung. Der gerissene alte Knacker spielt nicht fair. Er hat sich unersetzlich gemacht.
»Haben Sie gestern abend etwas herausgefunden?« wollte er wissen, als er den Schinken auf den Tisch stellte.
»Ja. Diese Winger paddelt nur mit einem Ruder im Teich herum.« Ich erzählte ihm von meiner Begegnung.
Er grinste. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie diesen Kerl umgebracht hat.«
»Er ist der weitbeste Menschenkenner«, verriet ich Carla Lindo. »Irgend jemand hat Wiesel aber nun mal ins gelobte Land geschickt, Dean. Und diesen Blaine gleich hinterher.«
Volltreffer. Carla Lindo fuhr erschreckt hoch. »Was?«
»Jemand hat’s ihm gegeben. Dieser Jemand ist einfach durch seine Tür spaziert, hat seine Bude in ihre Bestandteile zerlegt und ihn tot liegenlassen.«
»Das Buch!«
»Sehr wahrscheinlich.«
»Verflixt! Jetzt hat sie es wieder.« Sie sprang auf und lief herum. Unser morgendliches Geplauder beanspruchte mich nicht so, daß ich nicht abgelenkt gewesen wäre. »Was soll ich jetzt tun? Mein Vater hat sich fest auf mich verlassen!«
»Immer mit der Ruhe, Schätzchen.« Mein lieber Schwan, was für ein Anblick, wie sie da herumhüpfte … »Wer auch immer es war, das Buch haben sie nicht gefunden. Sie suchten noch, als sie unterbrochen wurden.«
»Dann …«
»Sie konnten es nicht finden, weil es nicht da war. Carla Lindo, meine Süße, setz dich. Du lenkst mich ab. So ist es besser.
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