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Schattentraeumer - Roman

Schattentraeumer - Roman

Titel: Schattentraeumer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Busfield
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Und so zerschmetterte sie alles, was sie in die Finger bekam, um ihrem Zorn und ihrer Verzweiflung
     Luft zu machen. Während Georgios sich bemühte, sie zu bändigen, raufte sie sich die Haare, griff nach einer verzierten Teekanne,
     schleuderte sie gegen die Wand und verfehlte dabei Frau Germanos’ Kopf nur knapp. Maria sprang instinktiv auf und gab ihrer
     Schwiegermutter eine Ohrfeige. Michalakis’ Reaktion darauf war eine brennende Replik auf die rechte Wange seiner Frau. Alle
     schwiegen fassungslos, und Dhespina hörte auf zu toben.
    Sekunden später kamen die Tränen. Auf den Fersen vor- und zurückwippend begann sie ihre Totenklage. Was hatten ihre Söhne
     denn getan? Der eine war Tischler, der andere arbeitete auf dem Feld. Sie waren gute Männer mit guten Herzen, sie hatten es
     verdient, zu leben und bei denen zu sein, die sie liebten und die sie so sehr vermissten. Aber in diesem kleinen Haus, das
     nicht ihr eigenes war, wusste sie nicht, an wen sie sich richten, mit wem sie verhandeln sollte. Sie hatte keine Möglichkeit,
     ihre Familie zu schützen, und als ihr Leid ihr den Atem zu nehmen drohte, öffnete sie den Mund und heulte wie ein Wolf. Sie
     durchbrach die Stille, die sie wie einen Schleier getragen hatte, und durchriss den Stoff der gescheiterten Vernunft. Dhespina
     heulte, weil sie nichts anderes tun konnte, und diesmal versuchte keiner, sie daran zu hindern.
    Als der Anfall seiner Mutter vorüber war, rief Michalakis einen Arzt an, der Ruhe verordnete und Schlaftabletten verschrieb.
     Der Mann versprach außerdem, das Rote Kreuz zu kontaktieren – dort konnte man etwas über den Verbleib seiner Brüder wissen.
     Tausende waren von Flüchtlingslagern, Krankenhäusern oder Gefängnissen auf dem türkischen Festland verschluckt worden. Er
     würde die immer länger werdendenNamenslisten durchsehen, versprach er, und Michalakis dankte ihm.
    Als Andreas aus dem Koma aufwachte, saß Lenya an seinem Bett und hielt sanft seine Hand. Mitarbeiter des Roten Kreuzes waren
     in der Lage gewesen, seine Frau aufzuspüren, und hatten sie zu ihm geführt. Während sie gemeinsam um die Tochter trauerten,
     die sie verloren hatten, saß Erado still neben ihnen und versuchte zu begreifen, wie eine Schwester so einfach verschwinden
     konnte.
    Tags darauf verkündete Ankara einen erneuten Waffenstillstand, der Feldzug war offiziell beendet. Zypern war geteilt, und
     die Türken besetzten ein Drittel der Insel von Ammochostos bis Kato Pyrgos und hatten ein Drittel der Bevölkerung vertrieben.
     Als die Grenze festgelegt wurde, blieben Tausende vermisst – unter ihnen Loukis und Christakis.
    Zwei weitere lange Monate vergingen, bis einer von ihnen zurückkehrte.

Dritter Teil
Pissouri, 2007
    Es ist die größte Katastrophe des griechischen Volkes seit der Katastrophe in Kleinasien von 1922. Wir haben etwa 6500 Opfer
     zu beklagen: 3500 sind tot, 3000 vermisst. Ich bezweifle, dass von Letzteren mehr als ein paar überleben werden. Nach unseren
     Informationen sind die meisten Vermissten kaltblütig erschossen worden. Wenn wir uns mit anderen Staaten vergleichen würden,
     wären die Opferzahlen im Verhältnis folgende: etwa 2   800   000 für die Vereinigten Staaten, über 700   000 für England und Frankreich, mehr als 3   000   000 für die Sowjetunion und rund 120   000 für Griechenland.«
    Erzbischof Makarios III., 1974

25
    Die Engländerin beriet sich nun schon seit fast zwanzig Minuten kichernd mit ihrem Mann, und Praxi verlor allmählich die Geduld.
     Wie lange konnte man sich denn, bitteschön, über eine kleine Figur mit einem gigantischen Penis unterhalten? Mit gekünstelter
     Scham trug die Frau die Figur schließlich zur Ladenkasse. Ihre scheinbare Verlegenheit hielt sie jedoch nicht davon ab, um
     den Preis zu feilschen, kühn behauptete sie, die »unan ständigen Statuen« im Andenkenladen um die Ecke seien viel billiger. Praxi erklärte ruhig, dass die Souvenirs in ebenjenem Geschäft
     hauptsächlich aus Plastik bestünden, wohingegen in ihrem Laden alles aus feinstem Holz handgearbeitet war.
    »Der kleine Kerl hier hat in der Tat ein recht beeindruckendes Stück Holz«, scherzte ihr Ehemann, und Praxi tat, als hörte
     sie eine solch geistreiche Bemerkung zum allerersten Mal. Als das Paar gegangen war, ließ sie die Rollläden herunter.
    Bevor sie die Ladentür zuschloss, ließ sie ihren Blick noch einmal über die Sammlung von Obstschalen, Schnitzereien, Schmuckkästchen,
     Bänken

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