Schattenwandler 05. Noah
die Energie zu deiner eigenen machst, dann wirst du keine Angst empfinden.«
»So ähnlich, wie wenn man einen verschneiten Hügel hinuntergeht und auf dem Eis ausrutscht? Was spielt es für eine Rolle, wie man zum Fuß des Hügels kommt? Man hätte den Weg sowieso zurückgelegt.«
Er musste lächeln, und in Anerkennung ihres Humors küsste er sanft ihre Lippen.
»So ähnlich. Der Unterschied ist nur, dass man sich ein paar Beulen und Prellungen auf dem Weg zuzieht. Ich hoffe, du bleibst unverletzt, Kes. Ich habe dir versprochen, dass ich dir nicht wehtun werde, doch wenn es einen Zeitpunkt gibt, wo das ein Thema werden könnte, dann heute Nacht. Ich bestehe aus Feuer, und das birgt ein paar Gefahren.«
»Ich habe keine Angst vor Gefahren«, flüsterte sie und küsste ihn beruhigend. »Und ich habe keine Angst vor dir. Jedenfalls nicht, was das Körperliche betrifft.«
»Nun, das solltest du aber«, sagte er und schüttelte sie leicht. »Unterschätz mich nicht. Nicht heute Nacht. Es ist die erste Nacht, verstehst du? Es ist der erste Heilige Mond, den ich mit dir verbringe, mit meiner Auserwählten, und ich lasse mich mit dem schmerzhaften Bewusstsein darauf ein, dass dein Herz nicht mir gehört und dass du Angst hast, es mir zu schenken.« Er spürte, wie sie seine Handgelenke fest umschloss, und er blickte zur Seite und holte tief Atem, um die aufsteigende Angst zu bezwingen. »Tut mir leid. Es hat geklungen, als wollte ich dir einen Vorwurf machen, aber das ist nicht so. Ich verstehe deine Bedürfnisse, wirklich. Ich will dich nur darauf hinweisen, was für Bedürfnisse ich habe.«
»Noah, ich weiß, was für Bedürfnisse du hast. Aber du kannst noch so unberechenbar sein, das wird deinem grundlegenden Wesen nichts anhaben. Dein Ehrgefühl ist bemerkenswert, und ich kenne so etwas nicht. Es wird nicht einfach verschwinden.«
»So überzeugt wäre ich auch gern«, sagte er mit unverhohlener Bitterkeit. »Vor fünf, sechs Tagen hätte ich noch mit dir übereingestimmt. Doch nach dem, was ich vor Kurzem getan habe, bin ich mir da nicht mehr so sicher.«
Kestra empfand den Satz wie eine brennende Ohrfeige. Es war nicht seine Absicht, ihr einen Vorwurf zu machen, doch sie fühlte sich trotzdem verantwortlich. Die Umstände hatten ihn in Konflikt gebracht mit den Werten, die er hochhielt. Er empfand keine Schuld, er konnte sich nicht dazu bringen, seine Entscheidungen zu bereuen, doch er hatte Gewissensbisse wegen der Folgen, die sein Handeln nach sich zog. Auch sie bereute es, denn ihre Fahrlässigkeit hatte ihn in diese unhaltbare Lage gebracht.
»Noah, du hast gerade gesagt, ich soll das Fremde, was ich heute Abend erleben werde, annehmen. Gilt das nicht auch für dich? Deine Ängste machen es so schwierig für dich.« Sie ließ ihre Hände beruhigend über seine Unterarme gleiten. »Ich habe meinen Geist nicht vor dir verschlossen. Es sollte dich eigentlich ermutigen, dass …«, zitternd stieß sie den Atem aus, denn sie war es nicht gewöhnt, mit dem Herzen zu denken, »… dass ich bei dir bleiben und lernen will, wenn ich … wenn ich den Mut finde, den ich brauche, um …«
»Um mich zu lieben, Kestra«, sagte er ungeduldig. »Du kannst es nicht einmal aussprechen!« Er fluchte leise und ließ sie los, um sich mit den Händen durch die Haare zu streichen und das ungewollte Gefühl, das in ihm aufstieg, zu unterdrücken.
»Das heißt nicht, dass du über die Situation glücklich sein musst, Noah. Du mutest dir zu viel zu. Es ist nichts Falsches daran, dass du jemanden willst, der dich liebt. Es tut mir nur leid, dass ich – dass du dir jemanden ausgesucht hast, der solche Panik hat, wenn es um Liebe geht.«
Das Bedauern war ihr an den Augen abzulesen, und er spürte einen Schmerz, der ihm die Kehle zuschnürte. Er packte sie und zog sie an sich, schloss sie in seine Arme und drückte sie ganz fest an sich. Kestra fühlte sich augenblicklich beschützt, ein Gefühl, das sie irgendwie belustigend fand.
Sie lächelte ihn an und strich mit einer Hand über seinen Bauch und seine Taille. Sie war fasziniert von seinen starken Muskeln. Seine Wärme und Kraft machten sie neidisch und atemlos. Sie spürte, wie sich unter ihrer Berührung die Muskeln zusammenzogen und wie er plötzlich mit den Zähnen nach der Hand schnappte und sie küsste. Sie zog eine Augenbraue hoch, während sie mit schelmischem Lächeln zu ihm aufblickte. Sie wusste, dass dieser Ausdruck ihn verrückt machte.
»Kestra, ich muss
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