Schattierungen von Weiß
sollen, falls wir Sie finden…“
Levin hielt die Luft an, wartete atemlos darauf, dass der Offizier weiter redete.
„Frau Kessler ist vor knapp sechs Wochen aus einer psychiatrischen Anstalt entlassen worden. Aber nur unter der Auflage, dass sie eine Therapie macht und sich regelmäßig bei einer Sozialarbeiterin meldet. Das hat sie nur einmal getan und ist dann untergetaucht.“
„Und deswegen so ein Aufwand?“, Levin riss die Augen auf.
„Man muss sichergehen, dass Frau Kessler nicht sich selbst oder andere in Gefahr bringt.“
„Andere in Gefahr bringen? Mia?“, Levin hätte am liebsten laut aufgelacht, doch die Sache mit der Psychiatrie traf ihn wie ein Keulenschlag. Irgendwoher krabbelte ein ganz ungutes Bauchgefühl in ihm hoch und ihm wurde eiskalt. Eine merkwürdige Vorahnung befiel ihn, nichts Konkretes, aber sehr beunruhigend.
„Sie hat vor knapp neun Jahren ihre Eltern umgebracht. Mehr Informationen haben wir aber wirklich nicht“, der Beamte schaute Levin mitfühlend an. „Es tut mir leid für Sie, aber vielleicht sollten Sie froh sein, dass es so gekommen ist. Wer weiß, ob diese Frau wirklich schon geheilt ist. Immerhin hat sie sich den notwendigen Maßnahmen entzogen und bei erster Gelegenheit die Flucht ergriffen. Aber ich bin kein Arzt, ich kann das nicht beurteilen“, er zuckte mit den Schultern.
Levin hörte seine Worte, aber so richtig kamen sie nicht bei ihm an.
Mia eine Mörderin? Konnte das sein?
Langsam begann sein Verstand wieder die Arbeit aufzunehmen.
Vor neun Jahren? Da war Mia doch noch ein Kind…
„Möchten Sie einen Kaffee?“, fragte der Beamte ihn freundlich, Levin winkte nur ab.
„Nein, danke. Ich… kann ich sie sehen?“, bat er ihn. „Bitte, es wäre sehr wichtig für mich.“
Der Offizier seufzte auf. „In Ordnung. Aber nur kurz und nur in Begleitung.“
Levin nickte ihm zu, dann fiel ihm noch etwas anderes ein. „Wissen Sie, wohin man Mia bringen wird? Gibt es eine Adresse in Hamburg? Ich komme aus einer anderen Stadt, aus Berlin.“
Der Mann musterte ihn lange, dann schaute er seine Unterlagen durch und notierte ihm eine Adresse. „Dies ist die Anschrift der zuständigen Polizeibehörde. Mehr kann ich Ihnen aber wirklich nicht sagen“, er reichte ihm den Zettel herüber. „Und Sie sollten sich darüber im Klaren sein, dass man Sie in Deutschland auch verhören wird.“
Mia hockte mit angezogenen Knien auf dem Bett und starrte zum vergitterten Fenster. Sie konnte den blauen Himmel sehen, keine Wolke war zu erkennen, es war ein schöner Sommertag, wie alle Tage vorher.
Doch Mia war nur noch übel. Sie hatte Levin in Schwierigkeiten gebracht, ihn, den einzigen Menschen auf der Welt, der sie liebte. Warum hatte sie das bloß getan? Tief in ihrem Inneren hätte sie wissen müssen, dass man sie suchen würde.
Aber nicht einen Gedanken hatte sie daran verschwendet, mit jedem Kilometer, den sie sich von Hamburg entfernt hatte, war auch ihre Vergangenheit von ihr abgefallen. Es hatte sich alles so leicht angefühlt, und die Sehnsucht nach Freiheit hatte sie alles vergessen lassen.
‚ Du bist so dumm, Mia. Und so egoistisch. Was hast du ihm bloß angetan? Oma hat Recht, du bist der widerwärtigste Mensch, den es gibt!’
Mit zitternden Händen wischte sie sich durchs Gesicht, es war ganz nass, Mia hatte gar nicht bemerkt, dass sie weinte.
Die Türe zur Zelle öffnete sich, sie zuckte zusammen bei dem Geräusch, es war so entsetzlich laut.
„Kommen Sie mit“, ein Beamter sprach sie barsch an, Mia sah ängstlich auf, folgte ihm dann aber auf wackligen Knien.
Sie gingen durch einen Korridor, dann öffnete sich noch eine Türe. Es war ein Zimmer, in dem nur ein Tisch und zwei Stühle standen.
Und Levin. Levin war dort.
Er stand vor dem Fenster, hatte hinausgesehen, jetzt drehte er sich schnell um. Sein Gesicht spiegelte völlige Fassungslosigkeit wieder.
Die Türe schloss sich hinter ihnen, der Beamte stellte sich davor und machte ein grimmiges Gesicht.
Mia wandte sich Levin zu. „Es… es tut mir so leid …“
17
Levin sah sie erst einmal nur an, ihre Augen waren gerötet vom Weinen und sie zitterte so stark, als ob sie in einer Kältekammer stehen würde.
„Mia“, er schrie leise auf, dann ging er schnell auf sie zu und wollte sie in den Arm nehmen, doch der Beamte wies ihn scharf darauf hin, dass er dies zu unterlassen ha be.
Mia schaute Levin unsicher an, er war mit Sicherheit sehr wütend auf sie, immerhin hatte sie
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