Schatz, schmeckts dir nicht
die Hauptsache, oder?«
»Tja, stimmt. Aber wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, natürlich die Kinder, wenn zwei so alte Kinderladentanten wie wir sich treffen! Da mein Sohn nie ein besonders kommunikativer Familienmensch war, eher etwas wortkarg und eigenbrötlerisch – wie sein Vater eben –, hat sich bei uns nicht viel geändert. Er macht sein Ding, ich meins, und solange ich ihn in Ruhe lasse, herrscht Frieden. Da er kein Spinner ist, eher zu vernünftig, mache ich mir auch keine Sorgen, dass er nicht irgendwie durchs Leben kommen wird. Ob mit oder ohne Abitur ist letztendlich egal. Und was macht dein Mann?«
»Arbeiten, arbeiten, arbeiten würde ich sagen. Ende letzten Jahres hat sein Büro den Zuschlag für so eine ökologische Mustersiedlung bekommen. Und wer Jan ein bisschen kennt, weiß, dass er sich mit Herzblut jedem neuen Projekt verschreibt. Tja, diesmal heißt es Öko-City.«
»Richtig, darüber habe ich in der Zeitung gelesen. Hört sich sehr interessant an.«
»Das ist es sicherlich. Im Übrigen sehr sinnvoll für Mensch und Umwelt, eine zukunftsweisende Alternative und so weiter und so weiter.«
Pflichtschuldig zeigte Helene, dass ihr die menschheitsbeglückende Dimension der Arbeit ihres Mannes durchaus bewusst war.
»Jedenfalls sind diese Ideen bei meinem begeisterungsfähigen Gatten auf fruchtbaren Boden gefallen. Er ernährt sich bereits vegetarisch.«
Wieder wurden sie vom Läuten des Telefons unterbrochen, und Elfriede fingerte aus einem der vielen Stapel vor sich auf dem Schreibtisch eine Liste und gab eine Bestellung für Obst, Gemüse und Milchprodukte auf. Ein Hauch von Schadenfreude, die nur aus der Zeit stammen konnte, da sie beide auf Elternabenden erbittert um die Ernährungsfrage der Kinder gestritten hatten, schwang mit, als Elfriede den Hörer auflegte und wieder zum Thema kam:
»Jan ist also zum Vegetariertum übergelaufen? Und das passiert dir! Du Arme!«
Helene unterdrückte den Impuls, sich gegen Elfriedes spöttisch-freundliches Mitgefühl zu wehren. Die alten Rivalitäten waren kalter Kaffee. Heute hatte sie ganz andere Probleme und Elfriedes Fachwissen konnte ihr vielleicht von Nutzen sein. Außerdem verhielt sie sich ja nicht unfreundlich. Als Helene nur resignierend mit den Schultern zuckte, bot sie sogleich ihre Hilfe an.
»Ich weiß zwar, dass du ein Kochgenie bist, aber wenn du irgendwelche Fragen hast zu Vegetarismus, bestimmten Lebensmitteln oder Ernährungstheorien, kannst du mich natürlich jederzeit fragen. Ich helfe dir gerne weiter, und ich bin nicht mehr so ein radikaler vegetarischer Vollwert-Fundi wie vor zehn Jahren. Die Altersweisheit macht auch mich toleranter«, meinte Elfriede mit einem Grinsen.
Keinesfalls wollte Helene den Eindruck erwecken, unter Jans Wandlung in irgendeiner Form zu leiden. Worüber sie sich wirklich Sorgen machte, tat hier ohnehin nichts zur Sache, und so gab sie sich gelassen.
»Weißt du, ich versuche, die Sache positiv zu sehen, und fasse die vegetarische Küche als weitere Herausforderung für meine Kochleidenschaft auf. Bisher hatte ich damit nicht so viel zu tun, beziehungsweise ohne Fleisch zu kochen, war eher Zufall als eine bewusste Entscheidung. Vielen Dank auf jeden Fall für die angebotene Hilfe. Da ich nach unserem überraschenden Zusammentreffen vor ein paar Wochen ohnehin vorhatte, dich einmal in deinem Laden zu besuchen, habe ich gedacht, so kann ich das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden, mit dir von alten Zeiten plaudern und mir gleichzeitig ein paar Anregungen für unseren Speiseplan holen.«
»Nur zu! Das ist eine sehr gute Idee! Geh dich doch weiter unten umschauen. Amras und Micha helfen dir gerne weiter. Ich muss nur noch diese Kosmetikbestellung fertig machen und mailen, dann komme ich nach.« Elfriede setzte sich ihre Lesebrille, die sie an einer goldenen Kette um den Hals trug, auf die Nase und schob sich die PC-Tastatur zurecht. In ihrem smaragdgrünen Strickkleid, über dem sie eine farblich passende Weste trug, wirkte sie sehr seriös und elegant, und in ihrem voll gestopften, unordentlichen Büro wie ein Fremdkörper.
Helene ging über die Treppe nach unten in den Laden und musste an die vielen Elternabende denken, die Elfriede mit ihrem Wunsch nach inhaltlicher Diskussion über Erziehungsfragen kaugummimäßig in quälende Länge gezogen hatte. Wahrscheinlich wäre sie sich in ihrem heutigen Outfit damals selbst suspekt gewesen. Bis Mitternacht saßen sie sich manchmal auf den
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