Schatz, schmeckts dir nicht
Kinderstühlchen den Rücken krumm, die Rauchpausen im kalten Treppenflur wurden immer länger, und der gesellige Teil bei einer Flasche Wein rückte in unerreichbare Ferne – doch Elfriede machte mit ihren moralisch unumstößlichen Argumenten jeden Kritiker mundtot. Sie war die Political Correctness in Person. Sie wachte darüber, dass die Gruppe an den wichtigen Demonstrationen teilnahm, das biologisch abbaubare Spülmittel benutzte, und im Schaufenster des Kinderladens hing immer eine tagespolitisch aktuelle Solidaritätsadresse. Wenn überhaupt Kaffee getrunken wurde, dann fair gehandelter. Wie das Gebräu schmeckte, war egal. Sie führte regelrecht Krieg um eine Flasche Ketchup, die eine arglose Mutter zum Geburtstagsessen ihres Sprösslings nach Elfriedes Worten in den Laden eingeschmuggelt hatte! Und all dies nicht zuletzt, um Peregrins Vater, ihren Mann, zu beeindrucken, der zielstrebig an seiner Akademikerkarriere bastelte, den Pascha mimte und ihr sämtliche Familienarbeit überließ. Tapfer und vergeblich hatte Elfriede damals um diesen unsäglichen Menschen gekämpft. Dabei konnte sie wirklich dankbar sein, dass sie ihn irgendwann endlich losgeworden war.
Lohnte es sich eigentlich, um Jan zu kämpfen? Was für eine Frage – eindeutig ja. Aber fand denn überhaupt ein Kampf statt, oder spielte sich das alles nur in ihrem Kopf ab? Blühende Phantasie? Krankhafte Eifersucht? Alles nur Einbildung? Schließlich war Diane nichts als eine geschätzte Kollegin und Mitarbeiterin von Helenes Mann, und so weit war das doch eine alltägliche Konstellation. Auf der anderen Seite reichte ihr Einfluss bereits bis an den heimischen Herd, und Helene fühlte sich in ihrer ureigensten Domäne, in der sie gewohnt war allein zu herrschen, empfindlich gestört, wenn nicht bedroht. Und hatte sie nicht schon des Öfteren die Erfahrung gemacht, dass andere weibliche Wesen mit ihren lächerlichen Kochkünsten brillieren und damit ihren Mann beeindrucken wollten – nachhaltig beeindrucken wollten?
Jan war leicht zu beeindrucken. Und manchmal waren Männer eben einfach zu blöd. Da brauchte nur so eine exotische Gutmenschin daherzukommen, ein bisschen bunt, ein bisschen anders, Friede, Freude, Eierkuchen durch ganzheitliche Bauweise zu prophezeien, und schon hatte sie ihn in der Tasche. Was diese Spiritistin in Wahrheit wollte, lag auf der Hand, doch das würde er erst merken, wenn es zu spät war. Und deshalb war es an Helene, den Schaden zu begrenzen.
Sie stand nachdenklich vor dem Kühlregal, als Elfriede ihr auf die Schulter tippte.
»Na, würdest wohl doch lieber dieses schöne Stück Filet in die Pfanne werfen, statt eines leckeren Sprossentofu?«
Helene hielt ein in Plastikfolie eingeschweißtes Schweinefilet in der Hand, das sich angenehm kühl und glatt anfühlte und sehr schön zart und hübsch roséfarben aussah. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie sie danach gegriffen hatte.
»Ach so.« Sie legte das Fleischstück zurück in die Kühlung.
»Ich habe mich, ehrlich gesagt, etwas gewundert, dass du auch Fleisch und Wurst verkaufst. Ich dachte immer, du bist eine 100 Prozent überzeugte Vegetarierin.«
»Weißt du, es gibt ja ziemlich viele verschiedene Richtungen und Ernährungstheorien: Vollwertkost mit Fleisch, ohne Fleisch, Makrobiotik, Trennkost, Hildegard-Kost, ich könnte dir Legionen aufzählen, Rohkost, Ayurveda, Sonnenkost bis hin zum absoluten Veganer, der überhaupt nichts Tierisches in seinem Alltag verwendet …«
»Ja, Veganer! Neulich auf einem Fest bei einer Kollegin von Jan habe ich zwei so radikale junge Leute kennen gelernt. Ganz schön hart!«
»Nach den Erfahrungen mit meiner ganz persönlichen Ernährung, und auch durch die Arbeit hier im Laden, bin ich zu der Erkenntnis gekommen, dass ein undogmatischer Umgang mit dieser Frage der gesündeste ist. Was nutzt dir das strenge Einhalten makrobiotischer Regeln, wenn du mit der Philosophie dahinter nicht vertraut bist und du in der Feinkostabteilung im KaDeWe fast in Ohnmacht fällst vor Begierde! Hab ich alles schon bei Kunden erlebt! Bei manchen Leuten habe ich auch das Gefühl, sie suchen sich eine besonders abgefahrene Ernährungsweise, weil sie sich dann endlich über etwas definieren, sich von der Masse abheben können. Anderen wiederum tut eine ganz bestimmte Diät einfach gut, sie kommen damit gut klar und leben besser. Alles ist gut, nur nicht die Apostel, die dem Rest der Welt ständig seine Ernährungssünden aufs Butterbrot
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