Schatzfinder
schaue ich der Flugbegleiterin in die Augen. »Wie bitte? Äh, wo sind wir?«
Ich schaue aus dem Fenster und blinzle in die Sonne. Es ist Morgen! Und der Flieger gleitet über die Wolkendecke wie an einer Schnur gezogen. »Rumänien«, sagt sie, lächelt und geht zum nächsten Fluggast.
Mein Sitznachbar gähnt, den Rosenkranz noch in der Hand. Der Vordermann streckt seine Arme. Wir waren alle eingeschlafen! In den schlimmsten Turbulenzen, die ich je erlebt habe, sind die Passagiere einfach kollektiv in tiefen Schlaf gefallen! Und wir sind schon bald am Ziel …
Wie verrückt. Wie kam es, dass wir einschlafen konnten, während wir herumgeschleudert wurden wie ein Hemd in einer Waschmaschine? Das war nicht wegen der Müdigkeit, nicht wegen der späten Stunde … sondern wegen der Ohnmacht. Wir hatten Todesangst, aber wir konnten einfach nichts tun. Und je länger es dauerte, desto unerträglicher wurde dieses Gefühl der Machtlosigkeit. Nichts konnte die Turbulenzen stoppen, der Rumpf der Maschine war wie ein Gefängnis – und gleichzeitig schützend wie ein Mutterleib. Es gab schlichtweg nichts zu tun. Wir konnten nur loslassen. Und schliefen erschöpft ein.
Wir Menschen sind so gestrickt, dass es absolut möglich wäre, dass wir bereits mitten in den Strudeln einer gewaltigen Katastrophe taumeln – und rein gar nichts davon mitbekommen.
Als ich in München auf die Gangway hinaustrat – endlich wieder in Freiheit! –, dachte ich: Wie unglaublich effektiv wir Menschen in der Lage sind, zu verdrängen. Da geht beinahe die Welt unter, und wir schlafen einfach ein. Auf die große Perspektive unserer Gesellschaft bezogen: Wir Menschen sind so gestrickt,dass es absolut möglich wäre, dass wir bereits mitten in den Strudeln einer gewaltigen Katastrophe taumeln – und rein gar nichts davon mitbekommen. Unsere alltägliche Normalität sagt jedenfalls kein bisschen darüber aus, ob wir uns in Gefahr oder in Sicherheit befinden.
Ein Flugzeugabsturz wäre fatal, aber nur für die Menschen, die das Pech haben, im falschen Flug zur falschen Zeit zu sitzen. Was aber wäre, wenn die ganze Menschheit auf eine Katastrophe biblischen Ausmaßes zusteuern würde? Würden wir es merken, bevor es zu spät ist?
Heute kann ich das Erlebnis auch noch anders deuten: Wie merkwürdig tröstlich es war, zu wissen, dass die Ohnmacht vollkommen war. Dass ich dem Wetter, den physikalischen Gesetzen, dem Geschick der Flugzeugkonstrukteure und der Professionalität der Besatzung restlos ausgeliefert war. Die Angst zu sterben konnte ich nicht einfach wegknipsen. Aber ich konnte sie überwinden und mich in die Nacht fallen lassen. Ich konnte ja doch nichts ändern. Und als dieser Punkt überwunden war, konnte ich loslassen, mich hingeben, und wurde ganz ruhig.
Der Punkt war: Irgendwann hatte ich akzeptiert, dass es eben so ist, wie es ist. Ich war ruhig, nicht weil ich mich sicher fühlte. Im Gegenteil, ich war ruhig, obwohl ich nicht sicher war. Trotzdem. Dieser Gedanke, der mehr ist als nur ein Gedanke, der ein ganzes Lebensgefühl repräsentiert, ist das, was Lanzelot meinte, als er sagte: »Du musst bereit sein zu sterben.« Diese Idee löst alle Bremsen, lässt alle eingebildeten Beschränkungen und selbstangelegten Fesseln von uns abfallen.
Das Erste, was wir brauchen, ist Akzeptanz. Wir machen dabei gerne schreckliche Aussagen, zum Beispiel: »Das kann ich so nicht akzeptieren, so geht das nicht«. Aber ob wir nun das Wetter akzeptieren oder nicht, spielt keine Rolle. Es ist, wie es ist. Die Frage ist nicht: »Mag ich das?« Die Frage ist: »Akzeptiere ich das?«Es ist gut, wenn das Wetter passt. Es mag förderlich sein. Aber viele Dinge passen einfach nicht, und dennoch sind sie so, wie sie sind. Wir regen uns täglich über das Wetter auf, und dennoch ist das Wetter eben so, wie es ist. Es kann höchstens förderlich für uns sein, oder es kann eben nicht förderlich für uns sein. Aber es ist, wie es ist. Die nächste Stufe ist das Einverständnis. Zuerst kommt die Akzeptanz, dann das Einverständnis. Wir müssen als Allererstes die Welt so sehen, wie sie ist, um sie dann wiederum ändern zu können.
Viele Leute sind von den Dingen besessen, die sie im Augenblick nicht ändern können. Sie tauschen Kriegsberichte mit Kollegen aus und lecken sich gegenseitig ihre Wunden wegen Dingen, gegen die sie nichts machen können. Dadurch schwächen sie aber nur ihre Fähigkeit, bei jenen Angelegenheiten, die in ihrem Einflussbereich
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