Schatzfinder
totale Zusammenbruch. Denn plötzlich war er mutterseelenallein auf einer kleinen Insel gefangen, weitab von jeder menschlichen Ansiedlung, völlig auf sich allein gestellt.
Robinson war naturgewaltsam gefangen auf einer Insel: Das ist in gewisser Hinsicht das größtmögliche Maß an Unfreiheit, noch unfreier als auf einer Sklavengaleere oder in einem Gefängnis.
Innerhalb des begrenzenden Rahmens, den der Ozean bildete, war Robinson aber auch unendlich frei. Es gab vom einen Tag auf den anderen keine Regeln und Normen mehr, keine gesellschaftlichen Ansprüche und Verhaltenskodizes, niemanden, nach dem er sich richten musste, keinen vorgefertigten Tages-, Wochen-, Jahres- oder Lebensablauf. Robinson konnte buchstäblich tun und lassen, was er wollte, inklusive der Freiheit zu sterben oder zu überleben – ganz nach Belieben, es kümmerte außer ihm niemanden.
Er war zurückgeworfen auf seine Fähigkeiten, Stärken und Talente, abhängig von der Funktionsfähigkeit seines Körpers, angewiesen auf seine geistige Gesundheit – das bedeutete, er musste die volle Verantwortung für seinen Körper und seinen Geist übernehmen. Jede Entscheidung, die er traf – wo und wie er seine Schutzhütte errichtete, wie er seine Energie für den Nahrungserwerb einsetzte, wie er sich vor der Sonneneinstrahlung und der Witterung schützte, wie er sich gegenüber den Wilden, die er auf der Insel vermutete, verteidigte, wie er mit der Einsamkeit umging –, hatte unmittelbare Konsequenzen. Aber nur für ihn.
Ein allmähliches Verlottern und Verrohen hätte für ihn einen Rückschritt ins Höhlenmenschenzeitalter zur Folge gehabt. Er entschied sich dafür, das geistige Level und das kulturelle Niveau des 17. Jahrhunderts in Europa so weit wie möglich aufrechtzuerhalten und zu verteidigen. Einfach deshalb, weil er es für richtig hielt.
In seinem früheren Leben war Robinson kein praktizierender Christ gewesen, auf seiner Insel wurde er aber plötzlich gläubig und las jeden Tag in einer Bibel, die er aus dem Wrack hatte retten können. Er schuf sich feste Strukturen, baute sich eine Festung, züchtete Ziegen, zählte die Tage und richtete sich sehr diszipliniert das Leben auf der Insel ein, sodass es für ihn sinnvoll und lebenswert wurde. Er nutzte die Freiheit also, um sich selbst die Freiheiten freiwillig einzuschränken, Entscheidungen zu treffen und sich Sicherheitsstrukturen zu schaffen.
Man kann den Robinson auf verschiedenste Weisen lesen – als Abenteuergeschichte, als Gesellschaftskritik, als philosophischen Roman über die Einsamkeit –, ich lese ihn als ein Stück über die Freiheit. Für mich reflektiert diese fantastische Geschichte von Daniel Defoe die Ambivalenz von Freiheit und Sicherheit. Sie zeigt für mich, wie wir Menschen mit der trügerischen Sicherheit und der trügerischen Freiheit klarkommen müssen, indem wir letztendlich jede Form von Freiheit oder Unfreiheit, auf die wir uns einlassen, mit voller Verantwortung und letzter Konsequenz selbst wählen.
Das ist für mich der Schlüssel: Es geht nicht um die Wahl zwischen extremer Freiheit oder extremer Sicherheit, sondern um die freie Entscheidung für Freiheiten oder Sicherheiten. Für ein persönliches, hochkomplexes Mischungsverhältnis von beidem, für das wir dann aber letztendlich geradestehen müssen: ohne Jammern, ohne Schuldzuweisungen, ohne Hass und Groll. Wir sind immer frei zu entscheiden, doch wenn wir Entscheidungen getroffen haben, dann gilt es, diese auch einzuhalten. Das nenne ich Commitment.
Das Bekenntnis
Commitment ist ein Wort, das wir häufig verwenden, gerne auch ohne es genau zu verstehen. Commitment ist ein vielschichtiger Begriff, der das Ausmaß der Identifikation einer Person mit beispielsweiseeiner Sache, einer anderen Person oder einer Organisation bezeichnet. Gemeint sind sowohl das emotionale Commitment als auch das Gefühl einer Verpflichtung. Wer committed ist, für den hat das Objekt, mit dem er sich verbunden fühlt, also eine große persönliche Bedeutung, die sich einerseits emotional ausdrückt, andererseits aber auch eine ethisch-moralische Dimension hat. Die Person oder die Institution oder das Unternehmen zu verlassen würde sich für einen committeten Menschen einfach nicht richtig anfühlen. Andersherum gesehen ist es für ihn selbstverständlich, für »sein« Unternehmen, »sein« Land, »seinen« Lebenspartner alles zu geben – buchstäblich alles, bis hin zu Gesundheit, Wohlbefinden oder gar das
Weitere Kostenlose Bücher