Schatzfinder
ließ sich diese Entscheidung nicht mehr umkehren. Das Loch im Ohr war für jedermann offen sichtbar, jeder kannte die Bedeutung, der Knecht war als solcher gekennzeichnet. Einmal unfrei – immer unfrei.
Eine solche Entscheidung ist im Prinzip eine grundsätzliche Wahl des Lebensstils. Sinkt die persönliche Wagschale zugunsten der Freiheit, dann wählt der Mensch einen individualistischen Lebensstil. Neigt sich die Wagschale zugunsten der Sicherheit, dann wählt die Person den Anschluss an ein Kollektiv.
Entweder-oder
Individualismus bringt die Freiheit, eröffnet eine Welt voller Möglichkeiten und Chancen, bedingt aber, dass man grundsätzlich auf sich alleine gestellt ist. Nichts ist vorgegeben, alle Lebensentscheidungen trifft man fortan selbst. Auf den schützenden Rahmen des starken Kollektivs, des Dienstherren und seiner Einfluss-Sphäre verzichtet man ganz bewusst. Und man weiß nicht, was morgen sein wird, die Welt wird unberechenbar und risikoreich. Man kann sich nur noch auf sich selbst verlassen.
Der kollektivistische Lebensansatz dagegen bringt zwar die Sicherheit der starken Gruppe oder der übergeordneten Institution, bedingt aber, dass man sich ihr rückhaltlos unterordnet und sich ihr auf Gedeih und Verderb anvertraut. Man wird zum Diener eines Herrn. Ob das nun in heutiger Zeit der Chef, die Aktionäre des Arbeitgebers, der Staat oder der Ehepartner ist, das Leben wird berechenbarer, viele Unsicherheiten sind so eliminiert. Aber damit fallen die meisten Chancen und Möglichkeiten ebenfalls weg. Die Sorge um das tägliche Überleben ist dem Schützling abgenommen. Dafür muss er sein Leben dem Wohl des Kollektivs widmen und seine eigenen Hoffnungen, Träume und Ideen abtöten oder unerfüllt lassen.
Beide Lebensentwürfe sind legitim und keineswegs grundsätzlich zu kritisieren. Jedenfalls dann, wenn sie freiwillig verfolgt werden. Aber es sind grundlegende Entscheidungen. Ein Vogel, der im Käfig lebt, wird ihn nicht so ohne Weiteres verlassen wollen, auch wenn man die Tür öffnet. Und umgekehrt: Ein Vogel, der in Freiheit lebt, lässt sich nicht so ohne Weiteres in einen Käfig sperren. In beiden Fällen braucht es erheblichen Antrieb – oder Gewalt. In diesem Sinne werden Sie schwerlich aus einem Menschen, der seit mehreren Jahrzehnten die Welt durch die kollektivistische Brille sieht, einen Individualisten machen können. Und umgekehrt. Es ist ein dauerhaftes Entweder-oder. Und beides gleichzeitig zusammen geht nun mal nicht. Die Probleme beginnen immer dann, wenn Menschen das Beste aus beiden Welten wollen, wenn sie die Sicherheit des Kollektivs gerneannehmen, sich aber nicht unterordnen wollen, sondern den Boss spielen. Diese Menschen (und das sind gar nicht so wenige) maßen sich an, beides zu fordern: unternehmerische Freiheit und Sicherheit zugleich. Das kann nur Ärger geben. Und umgekehrt: Menschen, die die Freiheit genießen, aber gegen alle möglichen Risiken, die die Freiheit mit sich bringt, abgesichert sein wollen und diese Sicherheit beispielsweise von »Vater Staat« einfordern. Das ist die noch häufigere Variante. Diese Menschen werden niemals die Chancen und Möglichkeiten der Freiheit nutzen können, denn alles hat seinen Preis: Die süßen Früchte der Freiheit sind ohne die schwere Last der Freiheit nicht erhältlich. Und diese Last, der Preis, ist die Übernahme der vollen Verantwortung. Die Gleichung lautet also: mehr Freiheit gleich mehr Verantwortung und weniger Regeln und weniger Gleichheit und weniger Sicherheit. Und umgekehrt: mehr Sicherheit gleich mehr Regeln und mehr Gleichheit und weniger Verantwortung und weniger Freiheit. Was aber, wenn die Sicherheit nur eine Illusion ist? Viele wollen lieber Sicherheit, vorsichtshalber. Vorsichtshalber Vitamin C, vorsichtshalber eine zusätzliche Versicherung, vorsichtshalber einen Partner, vorsichtshalber einen Spatz in der Hand. Vorsichtshalber zum Arzt nach dem Motto »Herr Doktor mir fehlt nichts – bin ich krank?« Für die Vorsicht zahlen wir fast jeden Preis: keine Leidenschaft, nichts Neues, nichts Verrücktes, nichts Besseres mehr. Dafür behalten wir das Langweilige, das Alte, das Normale, das Schlechtere. Und bekommen etwas dazu: Sicherheit. Aber der Preis der Vorsicht ist oftmals höher, als er uns erscheint. Und allzu oft stimmt der Deal nicht, und zwar dann, wenn der Preis für die Sicherheit höher wird als der Wert dessen, was wir ohne die Sicherheit möglicherweise verlieren könnten. Und unter uns: Was
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