Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schau Dich Nicht Um

Titel: Schau Dich Nicht Um Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
Empfehlung denken, das Strafrechtssystem als ein Spiel zu sehen: In einer Vorverhandlung präsentierte der Staat seine Beweise so allgemein wie möglich, ganz darauf bedacht, nur soviel zu enthüllen, wie notwendig war, um einen hinreichenden Grund zu präsentieren; die Verteidigung ihrerseits versuchte, soviel wie möglich vom Beweismaterial der Anklage aufzudecken.
    Wenn die Anklage Erfolg hatte, folgte drei Wochen nach der Vorverhandlung die Verlesung der Anklageschrift, zu der der Beschuldigte vor dem Vorsitzenden Richter der Strafkammer erscheinen mußte. Gemäß den ungeschriebenen Spielregeln verzichtete die Verteidigung im allgemeinen auf dieses Recht, und der Beschuldigte erklärte sich dann entweder schuldig oder nicht schuldig im Sinne der Anklage.
    Der Beschuldigte bekannte sich immer nicht schuldig, wie Jess
wußte. Sie folgte Tom Olinsky in den Aufzug und unterdrückte ein Lächeln, als sie sah, wie die drei Leute, die bereits in der Kabine waren, wie auf Kommando einen großen Schritt zurücktraten, um ihm Platz zu machen.
    Der Vorsitzende Richter setzte dann fest, welcher Richter den Fall verhandeln würde. Ein Datum wurde ausgewählt, und der Fall wurde nun zu einem von etwa dreihundert Fällen auf der Liste eines Richters. Bei Mordfällen dauerte es im allgemeinen zwischen mehreren Monaten und einem Jahr, bis sie zur Verhandlung kamen, und da begann das Spiel dann wirklich interessant zu werden.
    Die Anklage konnte es sich nun nicht mehr leisten, mit ihren Beweisen hinterm Berg zu halten. Sie mußte nun ihr gesamtes Beweismaterial gegen den Angeklagten offenlegen. Alles Beweismaterial, das dem Beschuldigten hilfreich sein konnte, alle Polizeiberichte, Gutachten, Dokumente, Fotos, Namen und Adressen von Zeugen, Informationen über frühere Verurteilungen und so weiter mußten der Verteidigung übergeben werden. Gleichermaßen war die Verteidigung verpflichtet, die Liste ihrer Zeugen offenzulegen, dazu alle wissenschaftlichen Gutachten, die sie als Beweise vorzulegen gedachte, und ihre Strategie zu offenbaren, ob sie nun ein Alibi ins Spiel brachte, Tötung auf Verlangen, Notwehr oder verschiedene Abstufungen der Unzurechnungsfähigkeit.
    Wenn dem Angeklagten Haftverschonung gegen Kaution verweigert wurde, mußte der Staat innerhalb von hundertzwanzig Tagen den Prozeß eröffnen, wenn der Angeklagte dies wünschte. Das wünschte er immer. War der Angeklagte hingegen auf Kaution frei, so mußte der Staat innerhalb von hundertsechzig Tagen den Prozeß eröffnen, wenn der Angeklagte das verlangte. Das tat er fast nie.
    Selbst wenn der Angeklagte die sofortige Prozeßeröffnung wollte, brauchte sein Anwalt Zeit, um das gesamte Beweismaterial des Staates zu prüfen. Dennoch gehörte es zu diesem Pokerspiel,
daß die Verteidigung den Antrag auf sofortige Prozeßeröffnung stellte. Das führte leicht dazu, daß die Staatsanwaltschaft nervös wurde und den Prozeß eröffnete, ehe sie wirklich bereit war.
    Wenn die Anklage nach hundertsechzig Tagen noch immer nicht prozeßbereit war, konnte die Verteidigung Antrag auf Einstellung des Verfahrens stellen, das Schlimmste, wie Jess wußte, was einem Staatsanwalt passieren konnte.
    Im Erdgeschoß angelangt, trat sie vor Tom Olinsky aus dem Aufzug, aber der holte sie schnell wieder ein, als sie durch den Korridor gingen, der das Administration Building mit dem Gerichtsgebäude verband.
    Aber das alles kam später, sagte sich Jess. Zuerst einmal mußte sie die Vorverhandlung überstehen.
    Sie fand in einem der kleineren, moderneren Räume in der ersten Etage statt.
    »Nehmen wir gleich die Treppe«, schlug Tom Olinsky vor und ging zwischen den hohen braunen Sälen in dorischem Stil an den zehn Aufzügen vorbei zum Treppenhaus. Erstaunlich, dachte Jess, wie behende dieser Mann ist, ich bin bestimmt erschöpft, bis wir oben ankommen.
    Essensgeruch aus den verschiedenen Kantinen hing in den Gängen, und Jess fragte sich, ob Don wohl mit Rick Ferguson in dem Raum, der für die Angeklagten und ihre Anwälte reserviert war, beim Kaffee saß. Sie hatte Don die ganze Woche nicht gesehen, hatte nicht mehr mit ihm gesprochen, seit er seinen Antrag auf Beschränkung der Beweisvorlage gestellt hatte. Sie wußte, wie selbst Adam ihr vorgehalten hatte, daß Don nur seine Arbeit tat, aber es ärgerte sie dennoch. Mußte er denn in seiner Arbeit so verdammt gut sein?
    Auch Adam hatte sie die ganze Woche nicht gesehen, aber sie hatte jeden Abend mit ihm telefoniert. Er war in

Weitere Kostenlose Bücher