Scheintot
ist mein Privatanschluss. Wenn Sie mich sprechen wollen, müssen Sie mich während der Dienstzeiten im Büro anrufen.«
»Wie wir erfahren haben, ist heute Abend im Leichenschauhaus eine Frau aufgewacht.«
»Kein Kommentar.«
»Unsere Quellen sagen, dass sowohl ein Ermittler der Polizei von Massachusetts als auch ein Feuerwehrteam aus Weymouth sie für tot erklärt hätten. Ist jemand aus Ihrem Institut zu der gleichen Feststellung gelangt?«
»Das Rechtsmedizinische Institut war an der Feststellung des Todes nicht beteiligt.«
»Aber die Frau befand sich doch in Ihrer Obhut, oder nicht?«
»Niemand aus unserem Institut hat diese Frau für tot erklärt.«
»Sie sagen also, es ist alles die Schuld der Feuerwehr von Weymouth und der Staatspolizei? Wie kann denn irgendjemand sich so irren? Ist es nicht ziemlich offensichtlich, ob eine Person noch am Leben ist oder nicht?«
Maura legte auf.
Fast unmittelbar darauf läutete das Telefon erneut. Diesmal zeigte die Anruferkennung eine andere Nummer an.
Sie hob den Hörer ab. »Dr. Isles.«
»Hier spricht Dave Rosen, Associated Press. Entschuldigen Sie die Störung, aber wir machen gerade Recherchen zu einem Bericht über eine junge Frau, die in die Gerichtsmedizin gebracht wurde und in einem Leichensack aufwachte. Ist die Geschichte wahr?«
»Wie haben Sie das nur alle herausgefunden? Das ist schon das zweite Mal, dass mich jemand deswegen anruft.«
»Ich nehme an, Sie werden noch wesentlich mehr Anrufe bekommen.«
»Und was hat man Ihnen erzählt?«
»Dass die Frau heute Mittag von der Feuerwehr Weymouth ins Leichenschauhaus gebracht wurde. Dass Sie es waren, die entdeckte, dass sie noch am Leben war, und einen Krankenwagen rief. Ich habe schon mit dem Krankenhaus gesprochen, und dort heißt es, ihr Zustand sei ernst, aber stabil. Alles so weit korrekt?«
»Ja, aber …«
»Lag sie tatsächlich in dem Leichensack, als Sie sie fanden? War sie darin eingeschlossen?«
»Sie stellen das viel zu reißerisch dar.«
»Werden die Leichen in Ihrem Institut eigentlich bei der Anlieferung routinemäßig überprüft? Um ganz sicherzugehen, dass sie auch wirklich tot sind?«
»Morgen früh werde ich eine Erklärung für Sie haben. Gute Nacht.« Sie legte auf. Bevor das Telefon wieder läuten konnte, zog sie den Stecker heraus. Nur so konnte sie hoffen, in dieser Nacht ein wenig Schlaf zu finden. Sie starrte auf das nunmehr stumme Telefon und fragte sich, wie die Nachricht sich nur so schnell hatte verbreiten können.
Dann dachte sie an all die Zeugen in der Notaufnahme – die Verwaltungsangestellten, die Schwestern, die Pfleger. Die Patienten im Wartebereich, die alles durch die Glaswand beobachtet hatten. Jeder von ihnen könnte zum Telefon gegriffen haben. Ein Anruf genügte, und schon machte die Neuigkeit die Runde. Nichts spricht sich schneller herum als makabre Gerüchte. Morgen, dachte sie, wird ein harter Tag, und ich sollte zusehen, dass ich darauf vorbereitet bin.
Sie rief Abe mit dem Handy zurück. »Wir haben ein Problem«, sagte sie.
»Hab ich mir schon gedacht.«
»Gib der Presse keine Interviews. Ich werde eine Erklärung vorbereiten. Für heute habe ich bei meinem Privattelefon den Stecker gezogen. Wenn du mich unbedingt erreichen musst – mein Handy ist eingeschaltet.«
»Bist du bereit, dich dem ganzen Ansturm zu stellen?«
»Wer soll es denn sonst tun? Ich habe sie schließlich gefunden.«
»Du weißt, dass die Medien im ganzen Land sich darauf stürzen werden, Maura.«
»Ich hatte schon die AP an der Strippe.«
»Ach, du liebe Zeit. Hast du schon mit dem Amt für öffentliche Sicherheit gesprochen? Die dürften die Ermittlungen übernehmen.«
»Ja, da muss ich wohl als Nächstes anrufen.«
»Brauchst du Hilfe bei der Presseerklärung?«
»Ich werde ein bisschen Zeit brauchen, um sie auszuarbeiten. Ich komme dann morgen früh ein bisschen später ins Institut. Halt sie einfach so lange hin, bis ich da bin.«
»Es wird vermutlich zum Prozess kommen.«
»Wir haben uns nichts vorzuwerfen, Abe. Wir haben nichts falsch gemacht.«
»Das spielt keine Rolle. Mach dich auf alles gefasst.«
3
»Schwören Sie feierlich, dass alles, was Sie in dem hier zu verhandelnden Fall vor Gericht aussagen werden, die Wahrheit ist, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit, so wahr Ihnen Gott helfe?«
»Ich schwöre«, sagte Jane Rizzoli.
»Danke. Sie können sich setzen.«
Jane spürte, dass alle Augen im Saal auf ihr ruhten, als sie sich
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