Scherbenherz - Roman
marktschreierisch ihre Ware feilboten.
»Alles in Ordnung, Schätzchen?«, hatte einer von ihnen gefragt und auf die Straße gespuckt. Janet war angewidert zurückgeschreckt.
»Ja, danke«, stotterte sie verlegen, und das Gefühl, völlig fehl am Platz zu sein, trieb ihr die Tränen in die Augen.
»Soll ich die Karte für dich verscherbeln?« Der Schwarzhändler streckte die Hand aus. Aus den grauen fingerlosen Handschuhen ragten nikotingelbe Fingerspitzen. Janet sah ihn verdutzt an.
»Das wäre nett. Würden Sie das wirklich tun?«
»Klar doch, Schätzchen. Die hab ich gleich für dich verhökert.«
Und so war es auch. Fünf Minuten später reichte ihm ein gehetzt aussehender Geschäftsmann mit einem in Zellophan verpackten Rosenstrauß unter dem Arm vierzig Pfund für Janets Theaterkarte. »Na, bitte, Schätzchen«, sagte der Kartenverkäufer und drückte ihr zwei knisternde neue Zwanzigpfundnoten in die Hand.
»Aber sie hat mich doch nur 35 Pfund gekostet.«
»Kauf dir für den Rest ein Eis«, erklärte er augenzwinkernd. Aber Janet bestand darauf, ihm den überzähligen Betrag zu geben. Er machte eine leicht beleidigte Miene, nahm jedoch das Geld, und Janet, die sich irgendwie bloßgestellt fühlte, drängte sich schnell durch die Menge ins Foyer. Es war eine Erfahrung, auf die sie in Zukunft gern verzichtete.
Meistens konnte sich Janet darauf verlassen, in Anne die gewünschte Begleiterin zu finden. Anne war fast ebenso einsam wie sie – auch wenn diese das jederzeit heftig bestritten hätte. Anne war häufig widerspenstig und undankbar. Dennoch spürte Janet, dass sie ihre Freundschaft in gewisser Weise ebenso brauchte, was Anne natürlich nie zugegeben hätte. Die beiden brauchten sich gegenseitig. Und sie brauchten beide den Glauben daran, dass das Leben schöner sein konnte, als es für sie war. Sie brauchten ihre gemeinsamen Unternehmungen, so fad sie gelegentlich auch sein mochten, denn sie ließen sie ihre jeweilige Einsamkeit vergessen. Eine Tatsache, die sie nicht infrage stellten, um keine tiefer gehenden Überlegungen anstellen zu müssen. Ein Hinterfragen hätte all ihre gegenseitigen Kompromisse offenbart.
Also bestellte Janet stets zwei Karten. Und Anne sagte ganz gegen ihren Willen öfter zu als ab.
Diesmal handelte es sich um eine jener fragwürdigen Veranstaltungen, bei der ein alternder Conférencier seine Show vor einem Publikum abzog, das dumm genug war, sich darauf einzulassen. Die Show hieß ›Ein Abend mit …‹. Der Showmaster war ein weißhaariger Herr namens Richard Vickers, der es zu bescheidenem Ruhm als Moderator einer humorvollen Quizshow im Radio gebracht hatte, bei der sich die Kandidaten eine Minute lang fließend und ohne Wiederholungen oder Abschweifungen über ein Thema auslassen mussten. Janet war eines Abends bei Anne zu Hause aufgetaucht, nachdem diese aus dem Krankenhaus zurückgekehrt war, und hatte gefragt, ob sie Lust habe, sie zu begleiten.
»Du wirst die Show bestimmt mögen«, sagte Janet fröhlich. Sie saß am hölzernen Küchentisch und befingerte den Untersetzer unter ihrem Teebecher. »Sie findet im Cambridge Arts Theater statt. Und ich dachte, wir könnten es mit einem Tagesausflug in die Gegend verbinden.«
Anne war zu ihrer eigenen Überraschung dem Vorhaben weniger abgeneigt als sonst. Die Aussicht auf eine Abwechslung von den quälenden Krankenhausbesuchen und angespannten Gesprächen mit Charlotte erschien ihr verlockend. Charles’ Zustand war seit drei Wochen unverändert. In den Gesprächen mit den Ärzten war zwar vorsichtig aber immer häufiger von »permanentem Siechtum« und »Lebensqualität« die Rede.
Annes Blick schweifte über den Tisch zu Janet. Diese trug eine neue, zeltartige braune Strickjacke, die sie im Ausverkauf erworben hatte und die ihr nicht stand. Sie betonte ihre kurzen Arme und den üppigen Busen unvorteilhaft, wodurch sie korpulenter wirkte, als sie war. Außerdem hatte sie mit der üblichen Nachlässigkeit Gesichtspuder und Lippenstift aufgetragen und machte hinter der verunglückten Maske einen beinahe nervösen Eindruck.
»Schätze, es ist in Ordnung, wenn ich einen Tag mal nicht ins Krankenhaus fahre.«
»Aber sicher, Anne! Du hast dich in den letzten Wochen praktisch aufgeopfert. Du hast eine kleine Verschnaufpause verdient.«
Einen Moment lang war es still. Anne wandte sich ab, glättete ihr Haar, um Janet nicht in die Augen sehen zu müssen. Die Tatsache, dass sie mit nach Cambridge wollte, erschien
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