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Scherbenherz - Roman

Scherbenherz - Roman

Titel: Scherbenherz - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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werden. Und Strafe musste wehtun.
    Aber Marcus war zu sanft. Als er schließlich in sie drang, fühlte sie ihn kaum. Er glitt rein und raus, rein und raus, die Augen halb geschlossen in Erwartung des Höhepunkts. Sein Stöhnen wurde lauter und rhythmischer.
    »Anne«, sagte er verzweifelt und knirschte mit den Zähnen. »Oh Anne.«
    Sie grub ihre Fingernägel in seinen Rücken und schlang die Beine um seine Hüften, um ihn näher an sich zu ziehen, seinen Körper an ihren Rippen zu spüren, sich von seinem Gewicht niederdrücken zu lassen, doch was sie auch versuchte, sie fühlte nichts. Nach einigen Sekunden schnappte er nach Luft, rollte von ihr weg, und sein dünner Samenfluss tröpfelte von ihr auf die Bettüberdecke.
    Anne stand auf und ging ins Badezimmer. Sie wischte sich zwischen den Beinen mit einem Handtuch ab und wusch sich die Hände. Sie ging ins Schlafzimmer zurück, sammelte ihre Kleidungsstücke auf und zog sich wortlos an. Marcus starrte sie an, einen gebeugten Arm über der Stirn, glänzender Schweiß auf dem dichten Brusthaar.
    »Sehe ich dich wieder?«
    Anne lachte kurz auf. »Natürlich.«
    »Wann?«
    Sie musterte ihn kalt. »Schätze, die Trenemans geben bald mal wieder ein Mittagessen.«
    Marcus zuckte zusammen, bewegte sich jedoch nicht. »Warum bleibst du bei ihm, Anne?«, fragte er erstickt vor Wut.
    »Wie bitte?«
    »Bei Charles«, erklärte Marcus, und sie sah, dass seine Augen nur noch schwarze Schlitze waren. »Jeder weiß, dass er die halbe Straße vögelt.«
    Anne reagierte nicht. Sie fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, strich sich sorgfältig die Strähnen hinter die Ohren. Sie zog ihr Jackett an und griff sich ihre Handtasche vom Fußboden. Dann nahm sie ihren Lippenstift, schraubte ihn auf und trug blassrotes Gloss auf. Sie lächelte, verzog die Lippen, als wolle sie testen, ob die Schminke korrekt saß.
    »Danke, Marcus«, sagte sie. Sie ging aus dem Zimmer. Er folgte ihr mit Blicken. Dann schloss sie die Tür mit einem sanften Plopp.

TEIL II

Charlotte
    M it Anfang zwanzig war Charlotte für kurze Zeit bei einer Psychotherapeutin in Behandlung. Sie hieß Roberta Mill, und ihre Praxis lag im ersten Stock eines unauffälligen Reihenhauses am Queen’s Park, umgeben von Weinhandlungen und schäbigen Zeitungskiosken. Roberta Mill (wenn Charlotte von ihr sprach oder an sie dachte, dann stets mit vollem Namen) war ihr von einer Freundin empfohlen worden und entpuppte sich als verschlossene Frau unbestimmten Alters. Sie hatte schulterlanges, sprödes aschblondes Haar und hängende Augenlider, so als würden sie seitlich von unsichtbaren Gewichten nach unten gezogen. Sie trug meistens weite Samtkleider, voluminöse Röcke und vernünftiges Schuhwerk, das vage an die Arbeitsschuhe von Ärzten und Krankenschwestern erinnerte.
    Jedes Mal, wenn Charlotte zu ihr fuhr, wünschte sie – und im Lauf der Zeit immer verzweifelter –, von Roberta Mill gemocht zu werden. Allerdings schien die Therapeutin gegen jede Art von Charme immun zu sein. Die unangenehmsten Minuten jeder Sitzung waren der Beginn – Roberta Mill kam dann die Treppe herunter, um die Tür zu öffnen. Sie sage Hallo und lächelte, warf einen prüfenden, abschätzenden Blick auf Charlotte und sagte anschließend mehrere Minuten lang kein Wort. Es herrschte geradezu peinliche Stille, während sie durchs Treppenhaus gingen. Charlotte versuchte dann stets eine Unterhaltung anzufangen – machte banale, höfliche Bemerkungen über das Wetter oder den Verkehr oder irgendetwas, womit sie glaubte, die Stimmung auflockern zu können. Aber Roberta Mill schwieg immer beharrlich, ein starres, rätselhaftes Lächeln im Gesicht.
    In dem kleinen Behandlungszimmer setzte sich Charlotte auf ein Sofa, einen Zweisitzer, von Ikea (sie erkannte darin einen Artikel aus der »Fjord«-Kollektion, die damals auf dem Markt war). Roberta Mill nahm im einzigen Sessel ihr gegenüber Platz und sah sie einfach nur an, bis sie sich dazu entschloss, etwas zu sagen. Es dauerte mehrere Wochen, bis sich Charlotte an dieses Ritual gewöhnt hatte, doch allmählich lernte sie, Roberta Mills Schweigsamkeit zu schätzen. Sie gewann dadurch seltsamerweise an Sicherheit, musste sich nicht anstrengen, charmant zu sein, hatte nicht das Gefühl, sich einem Testlauf über ihren Charakter oder ihre Art zu sprechen unterziehen zu müssen, sondern bekam lediglich die Freiheit und die nötige Zeit, über das zu sprechen, was ihr gerade einfiel.
    Aber noch immer wollte sie

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