Schicksal!
hingezogen fühlen, ist niemand hier drin auf der Suche nach ihr.
Wenige Augenblicke nachdem sie die Lounge betreten hat, geht
Liebe
nun zur Bar – unter dem Gelächter und den Pfiffen von
Leidenschaft
und
Verlangen,
die inzwischen beide völlig betrunken sind und in ihrem Rausch übermütig werden.
»Weißt du …«, setzt
Vernarrtheit
an, während er ein Schminkset aus der Tasche zieht und es aufklappt.
»Eine Sekunde«, bitte ich ihn, stehe auf und folge
Liebe
an die Bar, wo sie sich neben einen zweiunddreißigjährigen Mann setzt, der mit fünfundvierzig eine Leberzirrhose bekommen wird.
»Du bist echt niedlich«, gurrt der Mann
Liebe
zu, die ihrerseits erfolglos versucht, ihn zu ignorieren. »Darf ich dir einen Drink spendieren?«
»Wieso spendierst du nicht deiner Frau einen Drink?«, gibt sie zurück und meint damit die Frau, die auf der anderen Seite von ihm sitzt.
»Harry, können wir jetzt gehen?«, fragt diese und ist sichtlich unglücklich mit der Situation.
Vielleicht ist es nur mein subjektiver Eindruck, aber zwischen den beiden ist keine Liebe zu spüren.
»Nur noch ein Drink«, sagt Harry. »Einer für mich und einer für diese wunderschöne kleine Lady, die mein Herz gestohlen hat.«
»Das reicht«, erwidert seine Frau und steht auf. »Wir gehen.«
»Scotch auf Eis«, sagt
Liebe
zum Barkeeper.
»Aber ich liebe sie«, meint Harry, während seine Frau ihn aus der Bar schleift. »Ich liebe sie!«
Liebe
ignoriert ihn einfach, zündet sich eine Winston an und bläst den Rauch einem anderen Mann ins Gesicht, der sich ihr ebenfalls gerade mit amourösen Absichten nähern will.
Ich ziehe mir einen Stuhl heran und nehme neben ihr Platz. »Harter Tag?«
»Wieso scheint jeder sterbliche Mann zu denken, er wäre in das Prinzip, das ich verkörpere, verliebt«, fragt
Liebe,
»statt in die Person, in die er verliebt sein sollte?«
»Sollte denn jeder Mensch in einen anderen verliebt sein?«, will ich wissen.
Sie nickt. »Theoretisch, ja. Aber aus irgendeinem Grund funktioniert das nicht.
Lust, Verlangen
und
Vernarrtheit
scheinen im Moment ganz groß in Mode zu sein. Winston?«, fragt sie und hält mir ihre Zigarettenschachtel hin.
»Nein danke. War noch nie mein Ding, und ich will jetzt nicht damit anfangen.«
»Keine gute Idee, das Schicksal in Versuchung zu führen, was?«
»So was in der Art«, antworte ich.
Wir unterhalten uns so lange über Nebensächlichkeiten, dass
Liebe
ihren Scotch auf Eis beinahe geleert hat, bevor ich endlich das Thema anschneide, das mich eigentlich interessiert.
»Wieso verlieben die Menschen sich?«, frage ich.
»Du sagst das so, als wäre das eine bewusste Entscheidung.«
»Punkt für dich«, räume ich ein. »Dann also:
Wie
verlieben die Menschen sich? Wie beschwörst du bei ihnen die Überzeugung herauf, sie wären füreinander gemacht?«
»Zunächst mal stürzen sie sich nicht Hals über Kopf in die Liebe, sondern entdecken sie vielmehr«, erklärt sie. »Stürzen impliziert, dass man die Kontrolle verloren hat; das ist es, was
Leidenschaft, Lust
und
Verlangen
wollen. Sie wollen, dass du dich genauso fühlst. Das Problem ist, dass die drei sich unter den Menschen so gut vermarktet haben, dass die meisten Leute, die für die echte Liebe noch nicht bereit sind, mich und ihr körperliches Verlangen nicht mehr auseinanderhalten können.«
Ich muss zugeben, dass ich viele Menschen gesehen habe, die sich ihre Schicksale versaut haben, weil sie auf der Jagd nach Liebe waren. Und das, obwohl sie im Grunde genommen eigentlich nur flachgelegt werden wollten.
»Die Wahrheit ist, Sergio«, fährt sie fort und kippt den Rest von ihrem Scotch hinunter, »Liebe ist wie ein gutes Buch, das du nicht weglegen kannst und von dem du dir wünschst, dass es nie endet. Aber Vernarrtheit und Lust bringen dich dazu, die Geschichte nicht in ihrem normalen Ablauf zu genießen, sondern einfach gleich ins letzte Kapitel vorzublättern.«
Während ich das alles in mich aufnehme, bestellt sich
Liebe
noch einen Scotch auf Eis. Hinten in der Lounge höre ich
Leidenschaft
und
Verlangen
gackern.
»Und zweitens«, sagt
Liebe
und deutet auf die Lounge, »ist nicht jeder reif genug, um mich zu empfangen. Die Paare dort hinten sind zum Beispiel alle in ihrem Verlangen und in ihrer Leidenschaft gefangen. Sie sind nicht bereit für die Liebe. Sie wüssten gar nicht, was sie damit anfangen sollten. Deshalb verschwende ich sicher nicht meine Zeit an ein paar Männer und Frauen, die es nicht
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