Schicksal!
philosophiert.
»Liebe ist aus der Mode«, fährt er fort. »Sie ist überholt. So wie selbstgemachte Eiscreme, Petticoats oder Pferdekutschen. Altertümlich schön, aber unpraktisch. Männer und Frauen haben keine Zeit mehr für die Liebe. Stattdessen lachen sie ein bisschen gemeinsam, kippen zusammen ein paar Drinks, haben Sex und sind der Meinung, sie hätten die Liebe gefunden. Schau dich hier doch bloß mal um.«
Ich blicke mich in der Lounge um, die mit kleinen, runden Tischen und klassischen Lampen dekoriert ist. In dem gedämpften Licht sitzen Männer und Frauen, die miteinander trinken, reden und die sexuelle Spannung erleben. Ich bin hergekommen, um etwas über menschliche Beziehungen zu erfahren, und hatte gehofft, dass jemand wie
Liebe
oder
Romanze
seine Eindrücke mit mir teilen würde. Doch schließlich hat
Vernarrtheit
mich auf einen Drink eingeladen, und da wollte ich nicht unhöflich sein.
Um es auf den Punkt zu bringen:
Vernarrtheit
ist narzisstisch.
»Jeder einzelne dieser Menschen hier glaubt, in seinem Gegenüber den perfekten Partner für sich erkennen zu können«, erklärt
Vernarrtheit
und lächelt sein eigenes Spiegelbild in einem Lampenfuß an. »Aber ihre Wahrnehmung ist getrübt: Sie sind einfach bloß vernarrt in ihr Gegenüber, und in ihren Blicken stehen nur Leidenschaft und Verlangen. Weißt du, was ich meine?«
Er deutet auf eine Ecke, in der
Leidenschaft
und
Verlangen
in ihren Cocktailkleidern sitzen und Margaritas trinken.
Um es auf den Punkt zu bringen:
Leidenschaft
ist bulimisch.
Um es auf den Punkt zu bringen:
Verlangen
ist zwangsneurotisch.
»Nun ja,
Liebe
wird dir natürlich erzählen, dass nichts den Verstand so sehr trüben kann wie reine, unverfälschte
amore
«, fügt er hinzu und betrachtet sein Profil in seinem halbleeren Longdrink-Glas. »Aber Menschen verlieben sich trotz ihrer Fehler und Defizite ineinander. Wenn es um Vernarrtheit, Verlangen, Leidenschaft und Lust geht, treten diese Mängel in den Hintergrund. Eigentlich trinken sich die Menschen nicht gegenseitig schön – wir sind es, die sie zu Schönheiten machen.«
Der neunundzwanzigjährige Mann am Tisch neben uns sieht genauso gut aus wie
Eitelkeit,
ist dabei allerdings ungefähr so clever und aufgeweckt wie
Inkompetenz.
Für die vierunddreißigjährige Frau, mit der er hier ist, spielt das jedoch keine Rolle. Sie kann nur daran denken, wie schön er ist. In achtzehn Jahren wird sie das nicht mehr tun: Dann wird ihr Ehemann arbeitslos sein, und ihre beiden Kinder im Teenageralter werden Förderkurse besuchen.
»Heutzutage heiraten die meisten Menschen aus Leidenschaft oder Verlangen«, meint
Vernarrtheit
und lehnt sich nach vorn, um einen Blick auf sich selbst in der polierten Oberfläche des Tisches zu werfen. »Besonders diejenigen, die sich bei ein paar Gin Tonics treffen. Es ist eben eher unwahrscheinlich, der echten Liebe in einer Bar zu begegnen. Zumindest nicht in Lower Manhattan.«
Noch ehe ich antworten kann, beugt
Vernarrtheit
sich vor und flüstert: »Wenn man vom Teufel spricht.«
Wenn einer von uns »Wenn man vom Teufel spricht« sagt, kommt es nicht selten vor, dass Satan tatsächlich gerade höchstpersönlich durch die Tür eintritt. Und wenn das passiert, ist es eine gute Idee, sich um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Mit Satan will man sich nicht anlegen. Besonders im Moment nicht. Gerade versucht er nämlich, mit dem Rauchen aufzuhören.
In diesem Fall meint
Vernarrtheit
es allerdings im übertragenen Sinne. Nicht Satan betritt den Klub, sondern
Liebe.
Im Gegensatz zur landläufigen Meinung ist
Liebe
kein kleines, nacktes Wesen mit Flügeln, das Pfeile auf Sterbliche abschießt und dafür sorgt, dass sie sich verlieben. Stattdessen trägt sie ein schwarzes Cape aus Samt über einem schwarzen, paillettenbesetzten Hosenanzug – sie sieht eher aus wie Judy Garland in
Ein neuer Stern am Himmel.
»Mal unter uns«, sagt
Vernarrtheit,
beugt sich zu mir herüber und senkt die Stimme. »Ich finde, sie könnte eine Generalüberholung vertragen.«
Um es auf den Punkt zu bringen:
Liebe
ist co-abhängig.
Ich treffe
Liebe
nicht besonders oft, denn die meisten Menschen auf meinem Pfad begegnen ihr für gewöhnlich nicht allzu regelmäßig. Jetzt fällt mir auf, dass sie trotz ihres selbstsicheren Schritts und des einladenden Lächelns mit den Tränen zu ringen scheint. Und obwohl mehr als ein Dutzend Paare in der Lounge sind und viele von ihnen sich körperlich zueinander
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