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Schicksalsfäden

Schicksalsfäden

Titel: Schicksalsfäden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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normaler Größe hatte diese bunte Tracht etwas Lächerliches. Bei Grants Statur wirkte sie geradezu grotesk.
    Grant bevorzugte dunkle, gedämpfte Farben wie Schwarz, Grau und Beige für seine maßgeschneiderten Anzüge, einzig verziert durch seine Taschenuhr. Er trug sein Haar kurz, weil er es praktischer fand, und er war stets glatt rasiert, obwohl er sich an manchen Tagen sogar zweimal rasieren musste, wenn abends noch gesellschaftliche Verpflichtungen auf ihn warteten. Er badete jeden Abend, weil er sonst nicht schlafen konnte. Nicht nur die physische Belastung in seinem Beruf machte dies erforderlich. Nach einem Tag in den schlimmsten Vierteln und mit dem übelsten Abschaum der Stadt sehnte er sich nach äußerer und innerer Reinigung.
    Normalerweise war es die Aufgabe des Kammerdieners, seinen Herrn anzukleiden, aber Grant zog es vor, sich selbst anzuziehen. Steif herumzustehen, während ein anderer an ihm nestelte, fand er mehr als lächerlich. Er war schließlich kein Tattergreis. Als er diesen Standpunkt einmal einem Bekannten aus den oberen Zehntausend erklärt hatte, meinte dieser nur: »Sehen Sie, dies ist genau der Unterschied zwischen den niederen Ständen und dem Adel.«
    »Sie meinen, nur die niederen Stände wissen, wie man Knöpfe öffnet und schließt?«, fragte Grant trocken.
    »Nein, mein Freund. Sie haben nur einfach keine Wahl. Der Adelige kann sich Leute leisten, die das für ihn erledigen.«
    Nachdem Grant die Krawatte gebunden und den Hemdkragen umgeschlagen hatte, kämmte er sein dichtes dunkles Haar und schaute noch einmal in den Spiegel. Er wollte sich gerade den Mantel anziehen, als er aus seinem Schlafzimmer ein gedämpftes Geräusch vernahm.
    »Vivien«, stieß er hervor, und mit drei Schritten war er an der Tür und riss sie auf, ohne erst zu klopfen. Ein Hausmädchen war schon da gewesen und hatte das Feuer im Kamin entfacht.
    Vivien versuchte ohne Hilfe aus dem Bett zu steigen, aber ihr Nachthemd hatte sich in der Nacht um ihre Beine gewickelt. Nun stand sie humpelnd. auf ihrem verstauchten und verbundenen Bein und versuchte die Balance zu halten. Ihr langes Haar hing ihr wild um die Schultern.
    »Brauchen Sie etwas?«, fragte Grant und sie erschrak beim Klang seiner Stimme. Sie sah immer noch so mitgenommen aus wie in der Nacht zuvor: blasses Gesicht geschwollene Augen, blau gefärbter Hals. »Den Abort vielleicht?«
    Die unverblümte Frage ließ Vivien erröten.
    Eine errötete Rothaarige, dachte Grant erfreut. Ein wahrlich reizvoller Anblick.
    »Ja, danke. Wenn Sie mir nur kurz sagen würden, wo …« Sie hüpfte noch einmal, um nicht hinzufallen.
    »Warten Sie, ich helfe Ihnen.«
    »O nein, bitte lassen Sie doch …« Sie schnappte nach Luft, als er sie einfach aufhob und ihren schmalen Körper an seine Brust drückte.
    Er trug sie die zwei Treppen nach unten zum Abort während Vivien die peinliche Situation dadurch zu verbessern suchte, dass sie ständig ihr Nachthemd wieder über ihre Oberschenkel zog. Erstaunlich schamhaft für eine Prostituierte, dachte Grant. Vivien war für ihre sexuelle Hemmungslosigkeit und für ihre aufreizende Art sich zu kleiden bekannt. Scham schien bisher nicht zu ihren herausragenden Eigenschaften zu gehören. Warum war sie jetzt so bekümmert?
    »Sie werden schon wieder zu Kräften kommen, aber im Moment sollten Sie Ihren Fuß schonen und nicht belasten.
    Wenn Sie irgendetwas brauchen, läuten Sie einfach nach einem der Mädchen.«
    »Gut. Danke.« Ihre schlanken Hände klammerten sich an seinen Hals. »Es tut mir ja so Leid, dass ich Ihnen solche Umstände mache, Mr. …«
    Ihr Zögern ließ nur einen Schluss zu: Sie hatte seinen Namen vergessen.
    »Nennen Sie mich Grant«, sagte er, als er sie vorsichtig vor dem Abort absetzte.
    »Und es sind überhaupt keine Umstände.«
    Als Vivien einige Minuten später vom Abort kam, war sie sichtlich überrascht ihn immer noch davor stehen zu sehen. Sie wirkte kaum größer als ein Kind mit den mehrfach umgeschlagenen Ärmeln und den Schlafrockschößen, die fast bis auf den Boden reichten. Ihre Blicke trafen sich. Sie beantwortete sein Grinsen mit einem beschämten Lächeln.
    »Besser?«, fragte er.
    »Viel besser. Danke.«
    Er streckte seine Hand aus. »Kommen Sie, ich trage Sie wieder hoch ins Bett.«
    Einen Moment zögerte sie, dann humpelte sie ihm entgegen. Vorsichtig schlang Grant seine Arme um ihren schlanken Körper, einen unter ihren Rücken, einen unter ihre Knie. Obwohl er sie sehr behutsam

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