Schicksalsfäden
gelassen hat sobald ein besserer auftauchte. Und dann hielt sie außerdem alle noch so peinlichen und skandalösen Details in diesem Buch fest.«
»Irgendeiner, der fallen gelassen wurde, könnte also so wütend gewesen sein, dass er versuchte, sich an Miss Duvall zu rächen?«
»Genau.«
Cannon gab das Buch an Grant zurück. »Sie sollten in dem Fall die Liste von Miss Duvalls Beschützern so schnell wie möglich abarbeiten und die Zahl der Verdächtigen eingrenzen. Es muss schnell gehen, sonst werden die Spuren kalt.«
Grant nahm das Buch entgegen und starrte darauf, während er sprach. »Ich würde gern bekannt machen, dass Miss Duvall noch am Leben ist. Wenn der Täter erfährt, dass sein Opfer lebt und reden könnte, lockt ihn das dann vielleicht aus seinem Versteck.«
»Und er versucht es ein zweites Mal? Sie würden damit Miss Duvall einem großen Risiko aussetzen, Morgan.«
»Solange sie in meinem Haus ist, besteht für sie keine Gefahr. Und wenn der Bastard es noch mal versucht, schnapp ich ihn mir.«
»Nun denn, lassen wir London also wissen, dass sie noch lebt. Wo und wann soll sie an die Öffentlichkeit treten?«
»Das weiß ich noch nicht.«
»Dann möchte ich einen Vorschlag machen: Meine gute Freundin Lady Lichfield gibt am Samstag einen großen Ball. Ein sehr gefragter Höhepunkt der Saison, wie man so sagt. Die Liste der Geladenen wird sogar in der Times veröffentlicht, und wer nicht darauf steht, kann sich gleich erschießen. Ich werde veranlassen, dass man Ihnen eine Blankoeinladung schickt, und Sie können dann mitbringen, wen Sie wollen.«
»Ich soll Miss Duvall, die Miss Duvall auf Lady Lichfields Ball mitnehmen?« Bei dem Gedanken musste Grant grinsen.
»Warum nicht?«
»Man kann wohl kaum behaupten, dass Miss Duvall gesellschaftlich akzeptiert wird, schon gar nicht von den anwesenden Damen. Immerhin hat sie mit den meisten ihrer ehrenhaften Ehemänner geschlafen.«
»Je mehr ehemalige Beschützer und Freier auftauchen und sie sehen, desto besser.«
Ihre Unterhaltung verstummte, als Mrs. Dobson ohne anzuklopfen mit einer Kanne Kaffee den Raum betrat. »Und ich sage Ihnen, Sie trinken zu viel von dem Teufelszeug«, schnaubte sie, Sah dann Grant ins Gesicht und fügte hinzu: »Sie auch!«
»Es schärft die Sinne und hilft, klare Gedanken zu fassen«, sagte Cannon freundlich, aber bestimmt. Dann nahm er die frische heiße Tasse und legte wohlig beide Hände darum.
»Dafür können Sie nicht mehr schlafen«, rief Mrs. Dobson kopfschüttelnd über so viel Unvernunft. Sie drehte sich wieder zu Grant um, als suche sie einen Verbündeten. »Wissen Sie, Sir Ross schläft nie mehr als vier Stunden, zum Essen hat er auch keine Zeit, und wofür soll das alles gut sein, wie? Die Arbeit wird doch immer mehr und der Papierstapel hier«, sie deutete vage auf den Schreibtisch, »wächst trotzdem von Tag zu Tag.«
»Wenn es nach Mrs. Dobson ginge, wäre ich so fett und faul wie Chopper hier.«
Der angesprochene Kater hob kurz den Kopf, sah, dass nichts Aufregendes passiert war, und schloss wieder die Augen.
Kopfschüttelnd verließ Mrs. Dobson das Büro und schlug die Tür hinter sich zu.
»Wo waren wie stehen geblieben?«, fragte Cannon und blies auf seinen heißen Kaffee. »Also, ich werde Lady Lichfield um die Einladung bitten.«
»Gut«, sagte Grant und zögerte, bevor er anfügte: »Es gibt da noch etwas, das ich Ihnen noch nicht gesagt habe.
Etwas, das Lord Gerard bei meinem Besuch erwähnte, das aber weder durch das Buch hier noch durch Miss Duvall bestätigt wird. Vielleicht hat es also gar nichts zu bedeuten.«
»Also?«
»Lord Gerard behauptete, dass Miss Duvall vor dem Anschlag Heiratspläne hatte. Er konnte mir nicht sagen, wer und wann, aber er war sich sicher, dass Miss Duvalls Zukünftiger eine wohlhabende, wichtige Persönlichkeit sei.«
»Welcher Mann von Macht und Vermögen würde ›alte Schuhe kaufen‹, wie man so sagt?«
»Genau«, sagte Grant. »Wer auch immer es wäre, ganz England würde über ihn lachen. Vielleicht konnte sie einem senilen Greis den Verstand rauben. Anders könnte ich mir das nicht erklären.«
Grant hatte versucht, besonders teilnahmslos zu klingen, aber in seiner Stimme schwang nun doch eine Bitterkeit mit, die Cannon durchaus an ihm bemerkte.
»Was halten Sie eigentlich ganz persönlich von Miss Duvall, Morgan?«, fragte Sir Ross, als wolle er in einer offenen Wunde bohren.
»Was ich von ihr halte, tut nichts zur Sache«, sagte Grant
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