Schicksalsfäden
hätte den Brief abgeschickt, aber … ich wusste doch nicht mehr ein noch aus, was sollte ich denn machen …«
Sie hatte den Brief fallen gelassen, als sei er giftig, hatte aufgeschluchzt und versucht sich zu verteidigen. »Ich wollte nie, dass Victoria nach London kommt! Warum musste sie sich auch in meine Angelegenheiten einmischen? Sie hätte nicht kommen dürfen, aber dass sie doch gekommen ist daran bin ich nicht schuld!«
»Niemand spricht hier von Schuld«, hatte Grant ganz ruhig gesagt. »Ich will nur, dass du mir ein paar Fragen beantwortest damit wir den Fall nun klären können.«
Sofort hatte Vivien sich dazu bereit erklärt alles zu tun, um zu helfen. »Frag nur, ich werde dir alles sagen. Aber danach solltest du noch mit jemand anderem reden: Lord Lane!«
Der Butler von Lord Lane war ziemlich, zugeknöpft gewesen, aber schließlich brachte Grant doch in Erfahrung, dass Lane an diesem Abend in seinem Club war: Boodles. Natürlich hatten nur Mitglieder Zutritt.
Also lenkte Grant seinen Einspänner unter bedrohlich dunklen Wolken Richtung St. James Street. Er war müde und gereizt und wollte eigentlich nichts lieber als zurück zu Victoria. Wie würde sie reagieren, wenn er ihr sagte, wer sie war? Er konnte es kaum erwarten, ihr Gesicht zu sehen, wenn sie wieder einen Namen, eine Identität, eine Vergangenheit bekam. Nie wieder sollte sie sich so unsicher fühlen, dafür wollte Grant sorgen. Er würde ihr Liebe und Geborgenheit geben, wenn sie ihn nur ließ. Grant wünschte es sich so sehr.
Überrascht stellte er fest dass er sich vorher nie Gedanken um seine Zukunft gemacht hatte. Doch in diesem Moment wusste er einfach, dass er ein glückliches Leben mit Victoria teilen wollte, sobald er den ganzen Schlamassel aufgeklärt hätte und sie keine Angst mehr zu haben brauchte. Und er wusste auch, dass er dann kein Bow-Street-Runner mehr sein wollte. Er hatte sich lange genug in dunklen Hinterhöfen Kämpfe geliefert, hatte lange genug Kriminelle gejagt und den Kopf für gekrönte Häupter hingehalten. Es wurde langsam Zeit dass er auch mal an sich dachte, dass er das Leben zu genießen begann.
Boodles war ein Club, in dem die gehobene Form der Langeweile gepflegt wurde. Gelangweilte ältere Herren saßen in alten Ledersesseln, rauchten Zigarren, tranken Brandy und starrten auf verstaubte Gemälde, die aufregende ländliche Jagdszenen zeigten. Gespräche wurden nur geführt wenn sie nicht zu vermeiden waren. Ansonsten hörte man nur gelegentliches Rascheln und Murmeln, wenn eine Zeitung umgeblättert wurde oder ein Mitglied einen weiteren Brandy orderte.
Grant war durchaus vermögend, aber Geld spielte in dieser Umgebung nur eine Nebenrolle. Name und gesellschaftlicher Stand waren entscheidend und die konnte man nicht kaufen. Dabei hätte Grant durchaus damit angeben können, dass er sich in der Jagd gut auskannte: in der Verbrecherjagd.
Als Grant die imposante Eingangshalle des Clubs betrat erschien wie von Geisterhand sofort ein sehr vornehmer Butler, dessen hochgezogene Augenbrauen verrieten, dass er nicht sehr erfreut war, Grant zu sehen.
»Darf ich fragen, in welcher Angelegenheit Sie vorsprechen, Sir?«
»Mein Name ist Grant Morgan und ich bin Runner vom Bow-Street-Revier. Meines Wissens befindet sich zur Zeit Lord Lane hier im Club. Ich muss ihn sprechen.«
Die Augenbrauen des Butlers schienen sogar noch ein wenig höher die Stirn hinauf zuwandern. Es war offensichtlich für ihn ziemlich unvorstellbar, dass ein Mitglied des Clubs etwas mit einem Bow-Street-Runner zu besprechen hätte. »Werden Sie von Lord Lane erwartet Sir?«
»Nein.«
»Dann bedaure ich, Sir. Sie werden Lord Lane zu einem anderen Zeitpunkt an einem anderen Ort sprechen müssen.« Der Butler zeigte mit der rechten Hand nach draußen, ein freundlicher Rauswurf.
»Nein, ich bedaure, denn ich habe mich wohl nicht verständlich genug ausgedrückt«, sagte Grant mit einem bedrohlichen Grinsen. »Ich habe nicht darum gebeten, Lord Lane sprechen zu dürfen. Ich werde ihn sprechen.
Heute, hier und jetzt. Sie können mir entweder sagen, wo er ist oder mir die Suche nach ihm überlassen. Das ist kein Problem für mich. Ich bin allerdings hin und wieder etwas ungeschickt, da kann schon mal das eine oder andere zerbrechen.«
Der Butler schien ehrlich schockiert von der Vorstellung, ein wild gewordener Runner könnte seinen ,Club verwüsten. »Ihr Benehmen ist empörend, Sir«, schnappte er. »Unsere Mitglieder legen höchsten
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