Schicksalspfade
völlig gesund aus und lächelte so herzlich wie immer. »Dank dieser netten Leute bin ich wieder so gut wie neu, Harry«, sagte er. »Wir stehen tief in ihrer Schuld.« Er breitete die Arme aus und Harry lief los, schmiegte sich an seinen Vater, so froh über seine Genesung, dass er sich der deutlich zur Schau gestellten Gefühle nicht schämte.
Von jenem Tag an hatte Harry nur noch ein Ziel: Er wollte einen Platz an der Starfleet-Akademie.
Der neue Enthusiasmus ihres Sohnes verwunderte die Eltern und sie reagierten mit Sorge auf die Vorstellung, dass ein Abenteurer im Weltraum aus ihm werden konnte. Er war zur Welt gekommen, als sie schon nicht mehr damit gerechnet hatten, jemals ein Kind zu bekommen, und sie erträumten sich eine Zukunft, in der er für immer ein Bestandteil ihres Lebens blieb. Natürlich würde er irgendwann heiraten und selbst Kinder haben, aber das sollte innerhalb der geographischen Grenzen ihrer familiären Gemeinschaft geschehen. Die Kims hatten viele Verwandte, und zwar in einem Umkreis von maximal hundert Kilometern. Kims Eltern waren immer davon überzeugt gewesen, dass sich ihr Sohn nicht weiter von ihnen entfernen würde.
Sie wussten, dass Starfleet-Angehörige oft jahrelang im All unterwegs waren. In manchen Fällen konnten ihre Ehepartner und Kinder sie begleiten, aber für Großeltern, Tanten, Onkel und Cousins kam so etwas nicht in Frage. Die Vorstellung, Harry Kim könnte Starfleet beitreten, kam der von einem verlorenen Sohn gleich.
Aber als Harry von nichts anderem mehr sprach als von der Starfleet-Akademie, verbargen seine Eltern ihre Ängste und begannen damit, ihm jede nur mögliche Unterstützung zu gewähren. Sie rieten ihm, mit dem Schulberater über sein neues Ziel zu sprechen und festzustellen, wie er es erreichen konnte. Sie besorgten ihm Privatlehrer für die Fächer, die er bisher vernachlässigt hatte. Sie informierten sich über die Geschichte von Starfleet, um vernünftige Gespräche mit ihrem Sohn führen zu können.
Fast sein ganzes Leben lang hatte Harry sich auf die Musik konzentriert; deshalb ließen seine Kenntnisse in
Naturwissenschaften und Mathematik zu wünschen übrig. Er hatte das Notwendige gelernt, auf eine halbherzige Art und Weise. Kunst, Literatur und Geschichte waren ihm viel lieber.
Aber um auch nur eine geringe Chance zu haben, die
Aufnahmeprüfung der Akademie zu bestehen, musste er sich mit den anderen Fächern befassen: Biologie, Chemie, Physik, Astronomie und Anthropologie, um nur einige zu nennen. Er kannte sich ein wenig mit Algebra und Geometrie aus, aber vor ihm erstreckte sich ein unüberschaubares Labyrinth aus komplexen mathematischen Strukturen. Sie erschienen ihm wie ein dunkler, undurchdringlicher Wald, wie eine Terra incognita.
Er gab alle anderen Aspekte des Lebens auf, um zu lernen.
Die Klarinette rührte er nicht mehr an, ebenso wenig das P’i P’a. Er gestattete es sich, einmal in der Woche auszugehen, und für gewöhnlich nutzte er diese Gelegenheit für das Parrises-Squares-Spiel an der Schule. Verabredungen
irgendeiner Art kamen für ihn nicht mehr in Frage. Er blieb in der Volleyball-Mannschaft, weil er wusste, dass die Akademie auch Wert auf Sport legte. Ein Wunsch prägte sein ganzes Denken und Empfinden: Er wollte unbedingt Teil von Starfleet werden.
Vage spürte er die Besorgnis seiner Eltern und verstand sie auch, wenn er die Dinge aus ihrem Blickwinkel sah. Er war zu einer Art Einsiedler geworden. Er ging nicht mit Freunden aus und besuchte keine Konzerte mehr. Er tanzte nicht, fuhr kein Hoverrad und verzichtete auch auf alle anderen Aktivitäten, die das Leben seiner Altersgenossen bestimmten. Er opferte den größten Teil seiner Zeit der Realisierung seines Traums.
Vier Jahre lang bereitete er sich auf diese Weise vor und nicht ein einziges Mal bedauerte er seine Wahl. Er hatte nicht das Gefühl, dass ihm etwas fehlte. Entschlossenheit erfüllte ihn, eine Zielstrebigkeit, die seinem Leben einen ganz neuen Sinn gab. Bisher war immer alles mühelos für ihn gewesen –
Liebe, Anerkennung, musikalische Begabung –, und daher fand er Gefallen daran, sich dieser enormen Herausforderung zu stellen.
Erstaunt stellte er fest: Als er in die labyrinthischen Tiefen von Wissenschaft und Mathematik vorzustoßen begann,
faszinierten sie ihn immer mehr. Beide Disziplinen zeichneten sich durch eine Reinheit und eine Präzision aus, die er so erfrischend fand wie das kühle Wasser eines Sees nach einem heißen
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