Schiff der tausend Träume
Familie wäre mit ihm hier. Er fühlte sich unendlich weit entfernt von ihnen.
Doch tief im Innern spürte er, dass ihm diese Reise guttat, zusammen mit den neuen Tabletten, die er jeden Tag einnehmen musste. Und bevor er hier weiter feierte, musste er noch etwas Wichtiges erledigen. Er musste zu Marias Familie gehen und ihnen seine Aufwartung machen. Und er musste sie unbedingt etwas fragen. Er tastete nach dem kleinen Schuh in seiner Jackentasche … Die ganze Reise über hatte er ihn dort aufbewahrt – würde er nun endlich die Wahrheit über dessen Herkunft erfahren?
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Akron
Es war Dezember, und das Winterwetter trieb über die Bundesstraßen Richtung Stadt. Roddy war im Lager, um zu überprüfen, dass die Lieferungen rechtzeitig hinausgingen. Trotz der Kälte waren alle in Feiertagsstimmung, doch selbst mit den Papiergirlanden sah sein kahles Büro nicht gerade gemütlich aus.
Das Transportgeschäft lief gut, solange er dafür sorgte, dass er Frachtaufträge für die Rückfahrten bekam. Sie hatten einen Vertrag mit einer Versicherungsgesellschaft geschlossen, damit sie bei jedem Grenzübertritt ausreichend abgesichert waren. In jedem Bundesstaat galten andere Regeln und Bestimmungen für Frachtgüter. Will war unterwegs, da Jimmy Malone wieder einmal krank war – zumindest hatte er das behauptet.
Jimmy war einer ihrer unzuverlässigsten Fahrer, der am liebsten nach eigenem Zeitplan arbeitete, wenn man nicht auf ihn aufpasste. Aber wie sollten zwei junge Unternehmer, die noch grün hinter den Ohren waren, Männer kontrollieren, die bereits seit vielen Jahren Lastwagen fuhren, ein karges Leben führten und sogar im Freien übernachteten, um Zeit und Geld zu sparen? Jimmy kannte alle Tricks. Roddy spürte, dass er wohl irgendwann hart durchgreifen und Männer entlassen musste, die ihn zum Narren hielten.
Ihr Unternehmen »Freight Express« konkurrierte inzwischen mit den großen Transportfirmen wie »Roadway« und »Cargo«, aber es gab genug Arbeit für alle. Roddy wusste nur allzu gut, dass sein Geschäft funktionieren musste. Er hatte sein Erbe von Großpapa Parkes in einen neuen Lastwagen und das Lagergrundstück investiert, und so weit lief alles gut.
Roddy hatte auch ein Auge auf seine Großmutter, die er regelmäßig jeden Sonntag in der Kirche traf. Danach gingen sie im Portage Country Club oder einem Hotel in der Stadt zum Essen, und sie hielt ihn über die Angelegenheiten seines Vaters auf dem Laufenden.
»Er sitzt nicht mehr auf seinem hohen Ross. Die Diamond Rubber Company musste sich verkleinern, und sie haben ihn auf eine andere Stelle geschoben und überall den Gürtel enger geschnallt. Er hat durch unkluge Investitionen viel Geld verloren und muss Oak Court verkaufen. Er wird nach Talmadge ziehen, aber ich gehe nicht mit. Für mich in meinem Alter ist das zu weit draußen, da ziehe ich lieber bei Effie Miller ein. Sie ist Witwe und kann das extra Mietgeld gut gebrauchen. Ihr Haus ist groß genug für uns beide, und für dich steht auch jederzeit ein Bett bereit, falls du wieder nach Hause kommen willst.« Als sie ihn ansah, lag nicht viel Hoffnung in ihrem Blick.
»Es geht mir gut da, wo ich bin, so dicht bei der Arbeit«, erwiderte er. Er und Grandma Harriet verstanden sich über die Jahre immer besser. Sie war mit dem Alter weicher geworden. Bei ihren Treffen, ohne Beisein von Grover, konnte sie sich entspannen und ganz sie selbst sein. Sie erzählte Geschichten über das Leben in Akron, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war, und zeigte ihm stolz ihr Fotoalbum. Die Jahre der Unterdrückung durch Grover hatten ein Ende gefunden.
»In den alten Zeiten konnten wir Parkes mit hoch erhobenem Haupt dastehen, junger Mann, also mach es auch so, sobald du Erfolg hast. Werd ja nicht leichtsinnig. Aber du arbeitest zu hart, und ein Mädchen hast du auch noch nicht?« Immer wieder kam sie auf dieses Thema zu sprechen und schlug ihm junge Frauen vor, die er kennenlernen sollte.
»Wann hätte ich denn schon Zeit, um einem Mädchen den Hof zu machen, Grandma?«
»Arbeit allein macht nicht glücklich, junger Mann«, entgegnete sie lächelnd und tätschelte seine Hand.
Er lächelte zurück, ganz gerührt von ihrer Anteilnahme, doch an Mädchen hatte er im Moment tatsächlich noch kein Interesse, schon gar nicht an denen aus der Kirchengemeinde mit ihrem zuckersüßen Getue. Er wollte nicht denselben Fehler machen, den seine Eltern begangen hatten.
Bei dem Gedanken, dass er irgendwann wie
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