Schiffsdiebe
hier.«
Ganz langsam. Sonst glaubt er noch, du willst wegrennen.
» Gleich hier draußen.« Er öffnete die Tür, griff nach Moon Girls Geschenk und reichte es seinem Vater. Die Flasche glitzerte im Dunkeln, ein Talisman.
» Black Ling«, sagte Nailer. » Das hab ich von meiner Kolonne. Sie haben gesagt, ich soll es mit dir teilen. Weil ich froh sein kann, dass ich dich habe.«
Nailer hielt den Atem an. Sein Vater betrachtete die Flasche mit ausdrucksloser Miene. Vielleicht würde er daraus trinken. Oder vielleicht würde er sie nach ihm werfen. Nailer wusste es einfach nicht. Richard Lopez wurde immer unberechenbarer, seit er nur noch selten für die Kolonnen arbeitete, sondern fast ausschließlich in der Schattenwelt der Strände, und seit die Drogen ihn auf einen glühend heißen Kern hatten zusammenschrumpfen lassen, der aus Gewalt und Hunger bestand.
» Zeig mal her.« Sein Vater nahm ihm die Flasche aus der Hand und schaute, wie viel noch drin war. » Viel hast du deinem alten Herrn ja nicht übrig gelassen«, beschwerte er sich. Aber er zog den Korken heraus und roch daran. Nailer wartete und betete inständig, dass sein Glück anhalten würde.
Sein Vater trank einen Schluck. Nickte achtungsvoll. » Guter Stoff«, sagte er.
Die Spannung ließ nach. Sein Vater grinste und prostete Nailer mit der Flasche zu. » Verdammt guter Stoff.« Er warf die andere Flasche in die Ecke. » Viel besser als dieser Fusel.«
Nailer wagte ein Lächeln. » Freut mich, dass es dir schmeckt.«
Sein Vater trank einen weiteren Schluck und wischte sich über den Mund. » Geh ins Bett. Du musst morgen arbeiten. Bapi wirft dich raus, wenn du zu spät kommst.« Er deutete mit einer weit ausholenden Handbewegung auf Nailers Decken. » Du bist ja ein richtiger Lucky Strike.« Er grinste wieder. » Na sagen wir mal ein Lucky Boy.« Seine gelben Zähne blitzten gutgelaunt. » Gefällt dir der Name, Lucky Boy?«, fragte er.
Nailer nickte zögerlich. » Yeah. Gefällt mir.« Er zwang sich zu einem Grinsen – er würde alles sagen, damit sein Vater bei Laune blieb. » Sogar sehr.«
» Gut.« Sein Vater nickte zufrieden. » Ab ins Bett, Lucky Boy.« Er setzte erneut die Flasche an und ließ sich dann auf den Stuhl fallen, um dem aufziehenden Gewitter zuzusehen.
Nailer schlüpfte unter eine schmutzige Decke. Auf der anderen Seite des Raumes murmelte sein Vater: » Hast du gut gemacht.«
Nailer verspürte Erleichterung in sich aufsteigen. Früher hatte sein Vater ihn öfter gelobt – früher, als Nailer klein gewesen war und seine Mutter noch am Leben. In dem trüben Licht hätte Richard Lopez fast der Mann sein können, der seinem Sohn einmal dabei geholfen hatte, ein Bildnis des Rostheiligen über dem Krankenbett seiner Mutter in die Wand zu schnitzen. Aber das war lange her.
Nailer rollte sich zusammen, froh darüber, sich diese eine Nacht sicher fühlen zu können. Morgen konnte alles wieder anders sein, aber dieser Tag war gut ausgegangen. Morgen würde er weitersehen.
6
Das Unwetter raste mit der unerbittlichen Wucht eines Tankers aus der alten Welt über die Küste. Wolkenbänke türmten sich am Horizont auf und rollten heran. Donner grollte über dem Ozean, und Blitze erleuchteten die Unterseite der Wolken, zuckten vom Meer himmelwärts und wieder zurück.
Dann brach die Sintflut über alles herein.
Nailer wurde von dem Brüllen des Sturms geweckt, der gegen die Bambuswände peitschte. Wind und Wasser strömten durch die offene Tür, von elektrischen Explosionen erleuchtet. Sein Vater war nur ein Schatten, der neben ihm zusammengesackt war – er schnarchte mit offenem Mund. Eine Bö fuhr Nailer mit kalten Fingern über das Gesicht und riss das Bild des Klippers von der Wand. Der Papierfetzen wurde kurz durch den Raum gewirbelt und schließlich durch das Fenster in die Finsternis hinausgeweht; er war verschwunden, bevor Nailer auch nur versuchen konnte, danach zu greifen. Regen spritzte ihm ins Gesicht – die Palmblätter wurden von dem immer stärker werdenden Sturm vom Dach gerissen.
Nailer kroch über seinen Vater und stolperte zur Tür hinaus. Draußen war der Teufel los – die Leute schoben ihre Boote tiefer in den Dschungel hinein und rannten ihrem Vieh hinterher. Das sah nicht nach einem einfachen Gewitter aus; vielleicht war das ja ein echter Städtekiller, so wie die Wolken daherrasten und die Blitze in Kaskaden auf die Wracks der Tanker hinabzuckten. Obwohl eigentlich Ebbe war, gischtete die Brandung den
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