Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
Vom Netzwerk:
Vier-Zoll-Nägel; Bretter vor den Fenstern im Erdgeschoß. Quoyle schob seine Finger unter die Bretter und versuchte, sie anzuheben. Als würde er am Ende der Welt ziehen.
    »Im Auto ist ein Hammer«, sagte er. »Unter dem Sitz. Vielleicht auch ein Stemmeisen. Ich geh’ zurück und hol’ die Sachen. Und das Essen. Wir können ein Frühstückspicknick machen.«
    Der Tante fielen tausend Dinge wieder ein. »Hier bin ich geboren«, sagte sie. »In diesem Haus.« Auch andere Riten hatten hier stattgefunden.
    »Ich auch«, sagte Sunshine und blies auf eine Mücke auf ihrer Hand. Bunny schlug danach. Fester als nötig.
    »Nein, bist du nicht. Du bist in Mockingburg, New York, geboren. Da drüben ist Rauch«, sagte Bunny, über die Bucht blickend. »Da brennt was.«
    »Das ist Schonsteinrauch von den Häusern in Killick-Claw. Die machen sich da drüben gerade ihr Frühstück. Haferflocken und Pfannkuchen. Siehst du das Fischerboot da draußen, in der Bucht? Siehst du, wie es fährt?«
    »Ich will’s auch sehen«, sagte Sunshine. »Ich kann’s nicht sehen. Ich kann’s nicht sehen.«
    »Hör auf zu brüllen, oder du siehst, wie dein Hintern eine Abreibung bekommt«, sagte die Tante. Das Gesicht rot im Wind.
    Quoyle fiel ein, wie er selbst einmal einen Mathelehrer, der sich abwandte, keine Antworten gab, angeschrien hatte: »Ich kann’s nicht sehen.« Der Nebel riß auf, das Meer leuchtete wie blaues Neon.
     
    Das Holz, gehärtet von der Zeit und zerstörerischem Wetter, hielt die Nägel fest. Kreischend lösten sie sich. Er riß am Riegel, brachte die Tür aber erst auf, als er den Wagenheber in den Spalt zwängte und sie aufbrach.
    Dunkelheit außer dem blendenden Viereck, das durch die Tür hereinstörmte. Echo von Dielen, die auf Fels auftrafen. Stückweise schoß Licht durch Glas, landete auf den staubigen Böden wie Streifen gelber Leinwand. Die Kinder rannten zur Tür hinein und wieder hinaus, hatten Angst, allein in die Düsternis zu gehen, kreischten, als Quoyle, der draußen Bretter abhob, gespenstisch lachte und »Huhuu, huhuu« stöhnte.
    Dann drinnen. Die Tante kletterte die schmale Wendel-treppe hoch, Quoyle prüfte die Bodendielen, sagte: Vorsicht, Vorsicht. Staub lag dick in der Luft, und alle niesten. Kälte, Mief; schiefe Türen an losen Scharnieren. Die Treppenstufen abgetreten von tausendfachem Hinauf- und Hinunterschlurfen. Die Tapeten rollten sich von den Wänden. Auf dem Dach-boden ein Federbett, aus dem Vogeldaunen quollen, der Drillich mit Flecken übersät. Die Kinder rannten von Zimmer zu Zimmer. Sogar in neuem Zustand mußten sie schäbig und hoffnungslos gewesen sein.
    »Erster«, kreischte Bunny und wirbelte über knirschenden Boden. Doch vor den Fenstern die kühle Fläche der See.
    Quoyle ging wieder nach draußen. Der Wind in seiner Nase so süß wie Quellwasser in einem durstigen Mund. Die Tante drinnen hustete und weinte halb.
    »Da ist der Tisch, der geheiligte Tisch, die alten Stühle, der Ofen, o mein Gott, dort hängt der Besen an der Wand, wo er immer war.« Und sie langte nach dem Holzstiel. Der vermoderte Knoten riß, das Stroh fiel aus dem Bindedraht heraus, und die Tante hielt einen Stecken in der Hand. Sie sah, daß das Ofenrohr durchgerostet war, der Tisch auf kaputten Beinen stand, die Stühle gebrechlich waren. »Muß mal so richtig durchgeschrubbt werden. Wie Mutter immer sagte.«
    Jetzt wanderte sie durch die Zimmer, drehte Bilder um, die zerbrochenes Glas spuckten. Hielt das Erinnerungsfoto von einer Toten hoch, nur halb geschlossene Augen, die Handgelenke mit Streifen aus weißem Tuch umwickelt. Der abgezehrte Körper lag auf dem Küchentisch, der Sarg lehnte an der Wand.
    »Tante Eltie. Sie starb an Tbc.« Hielt ein anderes Foto von einer dicken Frau hoch, die eine Henne packte.
    »Tante Pinkie. Sie war so stämmig, daß sie sich nicht auf den Nachttopf setzen konnte und ihn zum Pinkeln aufs Bett stellen mußte.«
    Quadratische Zimmer, hohe Decken. Licht tröpfelte wie Wasser durch hundert funkelnde Löcher im Dach, verfing sich an Splittern. Dieses Schlafzimmer. In dem sie das Muster der Risse an der Decke besser kannte als alles andere in ihrem Leben. Ertrug es nicht, hinzusehen. Wieder unten, berührte sie einen mit Farbe verschmierten Stuhl, sah, daß die Enden der vorderen Stuhlbeine ganz abgenutzt waren. Die Dielen bogen sich unter ihren Füßen, Holz so nackt wie Haut. Ein vom Meer geglätteter Stein als Türstopper. Und drei Glücks-steine an einem Draht zum

Weitere Kostenlose Bücher