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Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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Kommode unter der Treppe. Vielleicht willst du dir auch ein frisches Hemd anziehen.« Die Tante steckte zwei weiße Kerzen in Glashalter, obwohl draußen noch hellichter Tag war. Die Sonne würde nicht vor neun untergehen.
    Bunny und Sunshine waren herausgeputzt, in weißen Strumpfhosen, ihren samtenen Erntedank-Kleidchen mit Spitzenkragen. Sunshine konnte Bunnys Lackschuhe tragen, aber Bunny schmollte in schmutzigen Sportschuhen. Und ihr Kleid war zu kurz und zu eng, spannte unter den Achseln. Außerdem zu warm.
    »Da kommt sie«, sagte die Tante, als sie Dawns japanischen Wagen aufs Haus zukurven hörte. »Jetzt benehmt euch mal, Kinder.«
    Dawn kam die Stufen herauf, balancierte in weißen Stökkelschuhen, so groß, daß sie einem Mann hätten passen können, lächelte mit braunen Lippen. Ihre Nylonbluse leuchtete, der Rocksaum hing hinten tief herab. Sie trug eine Flasche. Quoyle dachte, es sei Wein, aber es war weißer Traubensaft. Er sah das Preisschild von Sobey. Ihre Schuhspitzen ragten in einem schmerzvollen Winkel hoch.
    Er dachte an Petal in ihrem Kleid mit dem Rüschensaum, die langen Beine, die in mit Silberperlen bestickten Schuhen steckten, Petal, die in einer Wolke »Trésor« herumschoß, Blicke auf ihr Abbild in Spiegel, Toaster, Glas warf, mit den Fingern über Quoyles gaffendes Verlangen schnippte. Er spürte einen Stich Mitleid mit dieser armen Motte.
    Die Unterhaltung schleppte sich dahin, Dawn sagte, sie finde die nackten Böden und groben Fenster »beeindruckend«. Sunshine häufte auf ihrem Schoß schmutzige Bären und Autos, das ist ein Bär, das ist ein Auto, als käme der Gast aus einem Land, wo es kein Spielzeug gab.
    Endlich schob die Tante die duftende Pastete zu Quoyle.
    »Nur zu, Neffe, schneide sie auf.«
    Sie zündete die Kerzen an – die Flammen waren in dem Kegel aus Sonnenlicht, der über den Tisch strömte, nicht zu sehen, aber der Wachsgeruch erinnerte daran -, brachte die Schüssel mit Erbsen und Perlzwiebeln, den Salat.
    »Lassen Sie mich Ihnen helfen«, sagte Dawn, stand halb auf, ihr Rock verfing sich unter dem Stuhlbein. Aber sie konnte nichts tun. Ihre Stimme hallte in dem kargen Raum wider.
    Quoyle durchtrennte die Kruste mit einem Aluminiumgerät. Bunny hielt ihre Gabel in die Kerzenflamme.
    »Laß das«, sagte die Tante bedrohlich. Von der dampfenden Reine stieg ein Stück Hummerpastete auf, glitt auf Dawns Teller.
    »Ach, ist das Hummer?« sagte Dawn.
    »Ja, das ist es.« Die Tante. »Hummerpastete, locker und zart.«
    Dawn legte große Wärme in ihre Stimme, wandte sich an die Tante. »Ich nehme nur Salat, Agnis. Ich mache mir nichts aus Hummer. Seit meiner Kindheit. Wir kriegten immer Hummersandwiches als Pausenbrot mit. Wir warfen sie in den Straßengraben. Krebs auch. Wie große Spinnen!« Versuchte zu lachen.
    Bunny schaute auf die Kruste und das orange Fleisch auf ihrem Teller. Quoyle wappnete sich auf ein Gekreisch, aber es kam nicht. Bunny kaute übertrieben, sagte: »Ich mag rotes Spinnenfleisch.«
    Dawn zu Quoyle. Vertraulich. Alles, was sie sagte, übertrieben. Interesse heuchelnd.
    »Schrecklich, was diese Leute Agnis angetan haben.« War ihr eigentlich egal.
    »Was für Leute?« fragte Quoyle, die Hand am Kinn.
    »Die Leute in dem Hitler-Boot. Wie sie sich einfach verdrückt haben.«
    »Was soll das heißen?« sagte Quoyle, blickte die Tante an. »Na ja, sieht so aus, als wär’ ich übers Ohr gehauen worden«, sagte sie, während Wutflammen zu ihren Haarwurzeln schossen. »Wir bauten die Sitzbänke auf der Jacht ein, alle bis auf zwei Stühle waren fertig und ausgeliefert, na ja. Und sie sind weg. Die Jacht ist weg. Nach Einbruch der Dunkelheit in See gestochen.«
    »Kannst du sie nicht über das Jachtregister aufspüren? Das Boot ist doch einzigartig.«
    »Ich dachte, ich warte ein bißchen«, sagte die Tante. »Warte erst mal ab. Vielleicht hatten sie einen Grund, überstürzt aufzubrechen. Krankheit. Geschäftliches. Sie sind im Ölgeschäft. Oder sie ist es. Sie hat das Geld. Oder es ist ihr ein Friseurtermin in New York wieder eingefallen. So sind sie. Darum habe ich nichts zu dir gesagt.«
    »Hast du nicht früher in den Staaten für sie gearbeitet? Da müßtest du doch ihre Adresse haben.«
    »Ja, vor ein paar Jahren habe ich die Sofas neu gepolstert. Aber die Unterlagen sind noch auf Long Island. Bei den Akten. «
    »Ich dachte, du hättest dir alles raufschicken lassen«, sagte Quoyle, dem wieder die Leere des Zimmers, die fehlenden Möbel

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