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Schlafende Geister

Schlafende Geister

Titel: Schlafende Geister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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waren, die andere Hälfte schaute sich einfach um. Die Stammgäste waren eine Mischung aus Dealern und Süchtigen, alten Punks und noch älteren Hippies sowie ein paar Kleinkriminellen und richtig üblen Schurken. Ich sah, wie mich einige musterten, als ich zum Tresen ging, und rauszufinden versuchten, wer und was ich wohl sein könnte – potenzieller Kunde, Rivale, Schläger oder Polizei? So, wie ich angezogen war, mit dem schlichten schwarzen Anzug und dem dunklen Hemd, und mit der Wunde und den blauen Flecken von heute Morgen im Gesicht, hoffte ich irgendwie, dass ich nach überhaupt nicht viel aussah, bloß nach einem etwas lädierten Vierzigjährigen in einem abgewetzten, schlichten schwarzen Anzug. Nach jemandem, für den es sich nicht mal lohnte, den Kopf zu drehen.
    Am einen Ende des Tresens stand eine Video-Jukebox, die gerade etwas von Slipknot spielte, am anderen hing ein Breitbildfernseher, auf dem gerade ein Ultimate-Fighting-Kampf lief. Auch die Gäste machten ziemlich viel Lärm, deshalb musste ich mich, als ich den Tresen erreicht und die Aufmerksamkeit des Barmanns gewonnen hatte – einem Psychobilly-Typen mit nach hinten gegeltem Haar, Lippenringen und einer tätowierten Träne unter dem Auge –, über die Bar lehnen und brüllen, so laut ich nur konnte.
    »Ein großes Stella und einen doppelten Scotch!«
    »Was ist?«
    »EIN GROSSES STELLA UND EINEN DOPPELTEN SCOTCH!«
    Während er sein Barmann-Nicken nickte und sich an meine Getränke machte, drehte ich mich um und warf einen beiläufigen Blick durch den Raum. Ich wurde noch immer von einigen heimlich beäugt, aber niemand beachtete mich richtig. Alle machten mit dem weiter, womit sie beschäftigt waren – Trinken, Lachen, Reden, Dealen …
    »Macht £ 5,95, Kumpel.«
    Ich drehte mich wieder zum Tresen um und gab Psychobilly einen Zehner. Während er zur Kasse ging, um das Wechselgeld zu holen, kippte ich den Scotch in einem Zug runter und spülte mit einem Schluck Bier nach.
    »Alles klar« , brüllte Psychobilly und reichte mir das Geld.
    Ich gab ihm das leere Scotchglas. »’tschuldigung« , schrie ich. »Kannst du mir noch einen doppelten nachfüllen?«
    Er warf mir kurz einen bösen Blick zu – wieso hast du dann nicht gleich zwei bestellt? –, nahm das Glas, füllte es wieder auf und brachte es zurück. Diesmal knallte er das Wechselgeld auf den Tresen, statt mir die Münzen in die Hand zu geben.
    »Danke« , rief ich. »Arbeitet Genna heute Abend hier?«
    »Was ist?«
    In dem Moment endete der Slipknot-Song und etwas Leiseres folgte.
    »Genna Raven«, wiederholte ich nicht ganz so laut. »Arbeitet sie heute Abend hier?«
    Psychobillys Gesicht wurde starr. »Wer will das wissen?«
    »Ich.«
    »Ja? Und wer bist du?«
    »John Craine.«
    »Was willst du von Genna?«
    »Nicht viel … nur kurz mit ihr reden.«
    »Kennt sie dich?«
    »Nein.«
    »Bist du ein Reporter?«
    »Nein.«
    »Polizist?«
    Ich trank mein Bier. »Seh ich aus wie ein Polizist?«
    »Was willst du von Genna?«
    »Hör zu«, seufzte ich. »Sag ihr einfach, dass ich da bin, ja? John Craine. Ich bin noch ungefähr die nächste Stunde hier zu finden.«
    Und damit ließ ich ihn stehen und ging weg, um mir einen Platz zum Sitzen zu suchen.
     
    Etwa zwanzig Minuten später, gerade als ich noch mal zum Tresen gegangen war und ein Stella und einen weiteren Scotch bestellt hatte, trat eine dunkelhaarige junge Frau in Jeans und ärmellosem weißem Top aus einer Tür hinter der Bar und begann, leere Gläser einzusammeln. Ich hatte schon eine Weile eine andere Kellnerin beobachtet – auch sie trug Jeans und ein ärmelloses weißes Top, was wohl die Wyvern-Variante von einer Uniform sein musste, zumindest für das weibliche Personal –, doch diese erste Kellnerin hatte kein einziges Mal zu mir rübergeschaut, deshalb glaubte ich nicht, dass sie Genna Raven war. Aber bei der zweiten, dem dunkelhaarigen Mädchen, war ich mir ziemlich sicher, denn kaum hatte sie den Raum betreten, schaute sie immer wieder zu mir herüber. Also ging ich davon aus, dass Psychobilly mit ihr gesprochen und ihr erzählt hatte, wie ich aussah und wo ich saß.
    Ich behielt sie im Auge, wartete, dass sie wieder zu mir herübersah, und als sie es tat, nickte ich nur leicht, schenkte ihr ein Lächeln, von dem ich hoffte, dass es beruhigend wirkte, und tat sonst gar nichts. Wenn sie mit mir reden wollte, wusste sie, wo ich war. Und wenn sie nicht wollte …? Tja, wenn nicht, dann nicht.
    Die nächste

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