Schlafender Tiger. Großdruck.
sich zu ihm um und sah ihn an. „Nein, ich möchte nicht, daß Sie mitkommen. Sicher kann mich irgend jemand anderes hinbringen. Rodolfo oder ein Taxi oder so. Es muß jemanden geben.“
Er versuchte nicht zu zeigen, wie verletzt er war. „Nun, natürlich, aber...“
„Ich will nicht, daß Sie mitfahren.“
„In Ordnung. Ist ja auch nicht so wichtig.“
„Und in London werde ich Agnes vom Flughafen aus anrufen. Sie ist bestimmt zu Hause. Ich kann mir ein Taxi nehmen, sie wird auf mich warten.“
Es war, als wäre sie bereits fort, und jeder von ihnen wäre wieder allein. Sie würde allein im Flugzeug sitzen, allein in London ankommen, frierend, denn nach San Antonio würde es sehr kalt sein. Sie würde versuchen, Agnes von einer Telefonzelle aus anzurufen. Es würde bereits nach Mitternacht sein, Agnes würde schon schlafen und nur langsam aufwachen. Das Telefon würde in der leeren Wohnung läuten; Agnes würde aufstehen, ihren Morgenmantel anziehen und das Licht einschalten, während sie zum Telefon ging. Und danach würde sie eine Wärmflasche mit heißem Wasser füllen, das Bett aufdecken und einen Topf Milch auf den Herd stellen.
Doch weiter in die Zukunft konnte er nicht sehen.
„Was werden Sie tun, wenn Sie wieder in London sind?“ fragte er. „Ich meine, wenn all dies vorbei und vergessen ist?“
„Ich weiß nicht.“
„Haben Sie denn keine Pläne?“
Nach einer Weile schüttelte sie den Kopf.
„Machen Sie welche“, sagte er sanft. „Und zwar gute.“
10
E s wurde beschlossen, Pepe, Marias Mann, zu fragen, ob er Selina zum Flughafen bringen würde. Pepe betrieb zwar kein offizielles Taxiunternehmen, befreite jedoch gelegentlich sein betagtes Auto von altem Stroh, Hühnermist und sonstigen Spuren landwirtschaftlicher Tätigkeit, mit denen es normalerweise übersät war, und beförderte verirrte Reisende, wohin immer sie wollten. George fuhr in Frances' Wagen zu Pepe, um ihn darum zu bitten, und Selina bereitete sich, allein mit Frances und Pearl in der Casa Barco, auf ihre Abreise vor.
Dazu brauchte sie nicht sehr lange. Sie duschte und zog Georges Hose an, die Juanita so liebevoll hatte einlaufen lassen, und das gestreifte Hemd und die Espadrilles, die sie in Marias Laden gekauft hatte. Ihr gutes Jerseykostüm war Juanita bereits als Staubtuch vermacht worden, und ihr Bikini war so klein, daß er problemlos in die Handtasche paßte. Das war alles. Sie kämmte sich das Haar und legte ihren Mantel über einen Stuhl, dann ging sie auf die Terrasse hinaus, wo Frances es sich wieder in ihrem Korbstuhl bequem gemacht hatte. Ihre Augen waren geschlossen, doch als sie Selinas Schritte hörte, wandte sie sich Selina zu.
„Fertig gepackt?“ fragte sie.
„Ja.“
„Das hat ja nicht sehr lange gedauert.“
„Ich habe nicht viel Garderobe mit. Mein Koffer ging verloren. Er wurde fälschlicherweise nach Madrid geschickt.“
„Solche Sachen passieren oft.“ Frances setzte sich auf und griff nach ihrer Zigarettenschachtel. „Rauchen Sie?“
„Nein, danke.“
Frances zündete sich eine Zigarette an. „Hoffentlich denken Sie nicht, daß ich mich eingemischt habe und Sie von hier verjagen will.“
„Nein. Ich mußte sowieso zurück. Je früher, desto besser.“
„Leben Sie in London?“
„Ja.“ Selina zwang sich, es auszusprechen. „In Queen's Gate.“
„Wie nett. Hat Ihnen Ihr Besuch auf San Antonio gefallen?“
„Es war sehr interessant“, erwiderte Selina.
„Sie dachten, George wäre Ihr Vater.“
„Ich dachte, er könnte es sein. Doch ich habe mich geirrt.“
„Haben Sie sein Buch gelesen?“
„Noch nicht richtig. Ich werde es nachholen, wenn ich wieder zu Hause bin. Dann hab ich genug Zeit dazu. Es ist
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